28. März 2024

Kuba reguliert den Privatsektor neu

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Privater Uhrmacher in Kuba.

Am gestrigen Mittwoch gab der kubanische Staatsrat im Namen des Präsidenten Raúl Castro eine außerordentliche Gesetzesgazette heraus, die neue Regeln für den wachsenden Privatsektor enthält, in dem derzeit knapp 445.000 Kubaner beschäftigt sind. Nach einem sprunghaften Anstieg in den Jahren 2011 und 2012, betrug der Zuwachs im letzten Jahr nur etwa 10 Prozent. Noch im Jahr 2010 arbeiteten lediglich 147.000 Kubaner auf eigene Rechnung. Während der letzten Sitzung im Dezember verabschiedete das kubanische Parlament eine Liste mit 18 neuen Berufen, die unter anderem Bauarbeitern und Immobilienmaklern die Arbeit auf eigene Rechnung erlaubt. Damit können insgesamt 199 Berufe im Privatsektor ausgeübt werden.

Allerdings wurden am Ende des Jahres auch die Spielregeln für diesen Sektor neu abgesteckt: Nach der Schließung der 3D-Kinos, die in keine der Berufsgruppen fallen und aufgrund der öffentlichen Nachfrage vor allem in Havanna entstanden sind, wurden auch den Verkäufern von importierter Kleidung der Kampf angesagt. Diese bereicherten sich oft durch Wiederverkauf und Spekulation, nach Abverkauf ihrer Lagerbestände wurden ihre Geschäfte zum Ende des Jahres geschlossen. Auch alle anderen Berufe wurden auf der letzten Parlamentssitzung genauer gefasst, so dass künftig keine Unklarheiten über das Tätigkeitsfeld der Lizenzen mehr herrschen sollen. Doch was beinhaltet das neue Gesetz?

Ein Bußgeldkatalog für den Privatsektor

„Das Gesetzesdekret hat das Ziel, die persönlichen Verstöße gegen die Bestimmungen zur Arbeit auf eigene Rechnung, sowie die anzuwendenden Mittel gegen die Rechtsbrecher durch die zuständigen Autoritäten zu präzisieren, um bestehende Unregelmäßigkeiten zu beseitigen und zu lösen“, heißt es in der Gazette. Vor allem die genaue Festlegung der Bußgelder ist neu. Bisher konnten diese im Rahmen gewisser Mindest- und Höchstsätze von den lokalen Behörden relativ beliebig verhängt werden, nun sind die jeweiligen Strafen klar definiert. Auch der Arbeits- und Jugendschutz wurden mit dem Gesetz gestärkt: Gefährliche Aktivitäten, die die Gesundheit oder das Leben der Arbeiter beeinträchtigen, sind künftig nicht mehr zulässig. Bestimmte Betriebe dürften daher gezwungen sein, auch beim Arbeitsschutz mit dem Staatssektor gleichzuziehen und in geeignete Ausrüstung zu investieren. Des weiteren sind Jugendliche unter 17 Jahren ohne besondere Genehmigung von der Arbeit auf eigene Rechnung ausgeschlossen.

Die Behörden sind nun autorisiert, gestohlene oder gesundheitsschädliche Rohmaterialien und Ausrüstungen sofort zu beschlagnahmen. Die Überschreitung des in der Lizenz definierten Berufs steht ebenfalls unter Strafe. Auch Preiserhöhungen und Spekulation sind ab sofort unzulässig. Je nach schwere des Vergehens kommen dabei unterschiedliche Methoden und Strafmaße in Betracht. Während bei weniger schwerwiegenden Verstößen zunächst eine Benachrichtigung erfolgt, reichen die möglichen Strafen vom Bußgeld bis zum Berufsverbot samt Beschlagnahmung des gesamten Geschäftseigentums.

Die Klassifizierung der Verstöße erfolgt in einem dreigeteilten Schema: „Sehr schwer„, „schwer„, und „weniger schwerwiegend„. Bei sehr schweren Delikten wird ein Bußgeld von bis zu 1500 Peso (60 US$) verhängt, auch eine Beschlagnahmung des Betriebseigentums und ein komplettes Berufsverbot im Privatsektor kann die Folge sein. Die Liste dieser Verstöße umfasst:

  • Ausübung einer nichtautorisierten Tätigkeit
  • Ausübung einer Tätigkeit ohne Lizenz
  • Ausübung einer Tätigkeit ohne Steuernachweis
  • Entsorgung von Müll an ungeeigneten Stellen
  • Arbeit ohne gültige Lizenz des Gesundheitsamtes
  • Verstoß gegen die Hygienebestimmungen
  • Verwendung von Primärrohstoffen oder Materialien, die für den Privatsektor verboten sind, sowie Einsatz von gestohlenen Materialien
  • Handel und Verkauf mit geschützten Tieren und Pflanzen
  • Beschäftigung von unter 17-jährigen ohne besondere Ausnahmegenehmigung der zuständigen Behörde
  • Gründung einer Kooperative, Vereinigung oder anderer kollektiver Zusammenschlüsse ohne vorherige Genehmigung durch die Behörden

Die „schweren Verstöße“ werden mit bis zu 700 Peso (28 US$) geahndet und umfassen:

  • Ausdehnung des Geschäftsbereich über die genehmigten Grenzen hinaus durch Verwendung zusätzlicher Stühle oder Tische
  • Verweigerung, die geforderten Papiere den jeweiligen Behörden vorzuzeigen
  • Behinderung der Arbeit der Kontrolleure
  • Vermarktung von Artikeln, die nicht explizit in der Berufsbeschreibung genannt sind
  • Verwendung von nichtgenehmigten Räumlichkeiten
  • Nichterfüllung von Arbeitsschutz, Hygiene oder Sanitärbestimmungen
  • Nichterfüllung von Transportdienstleistungen
  • Vertragliche Beschäftigung eines Arbeiters ohne korrekte Lizenz
  • Fehlender Eintrag im Handelsregister
  • Verkauf von Alkohol in nicht lizenzierten Örtlichkeiten
  • Erhöhungen von Produkt- und Servicepreisen jenseits der staatlichen Festsetzungen

Zu den weniger schwerwiegenden Verstößen zählt lediglich das Versäumnis einer Lizenzaktualisierung, dies wird mit 200 Peso (8 US$) geahndet. Die Bußgelder werden weiterhin von den lokalen Behörden verhängt und sind innerhalb von 30 Tagen zu bezahlen. Wenn das Bußgeld nach zwei Monaten noch immer nicht entrichtet wurde, verdoppelt sich der Betrag. Im Fall der „schweren“ und „weniger schweren“ Vergehen reduziert sich das Bußgeld um 50 Prozent, wenn innerhalb der ersten drei Tage nach Erhalt der Benachrichtigung bezahlt wird. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Bußgelder in der Praxis schrittweise erhöht werden und erst bei abermaligen Verstößen der Höchstsatz oder gar die Schließung des Betriebs zur Anwendung kommen. Allerdings sind auch Strafen in dreistelliger Höhe (CUC) möglich, wenn mehrere Verstöße zusammenkommen. Vor Verhängung eines Bußgeldes haben die Behörden jedoch die Möglichkeit, die Betriebe auf die Mißstände aufmerksam zu machen, damit diese behoben werden können.

Das Ende einer Illusion

Mit diesen Bestimmungen erfährt der kubanische Privatsektor nach über dreijähriger Praxis (sieht man von seiner marginalisierten aber vorhandenen Rolle während der 1990er und 2000er Jahre ab) erstmals seine grundlegende juristische Bestimmung. Nachdem die zulässigen Berufsfelder und dazugehörigen Definitionen Ende 2013 aktualisiert wurden, findet dieser Prozess nun durch die Einführung eines transparenten Bußgeldkatalogs seinen längst überfälligen Abschluss. Dabei ist bemerkenswert, dass die kubanische Regierung den Privatbetrieben in bestimmten Bereichen bewusst den Wind aus den Segeln nimmt, ihnen aber in erwünschten Feldern helfend zur Hand geht. Der Staat hat sein Handelsmonopol unterstrichen, in dem er den Verkauf von Importware durch Privatbetriebe umfassend verboten hat. Preiserhöhungen und Hortung soll durch die Ausdehnung der behördlichen Befugnisse ebenfalls ein Riegel vorgeschoben werden. Wichtig ist auch, dass Hygienestandards sowie Arbeits- und Jugendschutz nun bei Androhung der Geschäftsschließung umgesetzt werden müssen.

Mit der Durchsetzung des Bußgeldkatalogs könnte in den kommenden Wochen so manches Unternehmen das sein Geld mit gestohlenen Gütern verdient, de facto enteignet werden. Für die Provinzen und Kommunen bedeutet der Katalog vor allem eine neue Einkommensquelle. Der Staat hat damit ebenfalls einen (vorläufigen) Schlußstrich unter eventuelle Expansionswünsche von Privatbetrieben gezogen: Die Gründung von Filialen in anderen Provinzen, sowie jeglicher privater Zusammenschluss von Betrieben sind erstmals explizit verboten. Damit wird eine wichtige juristische Grauzone eleminiert. Träume von privaten Fusionen, Großbetrieben oder Handelsvereinigungen, kurzum: Ideen der freien Marktwirtschaft, sind damit pasé.

Die Regierung stellt mit dem neuen Gesetz unmissverständlich klar, dass eine weitergehende quantiative oder qualitative Ausdehnung des Privatsektors nicht gewünscht wird. Raúl Castro selbst hat in seiner Rede vor dem Parlament klar gestellt: „Jeder Schritt, den wir vorangehen, muss mit der Etablierung eines Bewusstseins von Gehorsam und Ordnung einhergehen.“ An anderen Stellen hat das kubanische Staatsoberhaupt immer wieder die Notwendigkeit von klaren rechtlichen Normen und ihrer Einhaltung betont, um Korruption und Diebstahl von Staatseigentum auszumerzen. Das Primat der Staatsbetriebe im künftigen Wirtschaftsmodell wurde zuletzt immer wieder bekräftigt, ihrer Modernisierung kommt in diesem Jahr die oberste Priorität zu.

Fördern und Fordern

Das neue Gesetz kommt vor allem den legal arbeitenden Cuentapropistas zu Gute: willkürliche Bußgelder sollen endlich der Vergangenheit angehören, künftig kann für jedes Vergehen die mögliche Höchststrafe eingesehen werden. Und wer bei kleineren Vergehen (die sicherlich öfter vorkommen dürften) seine Strafe schnell bezahlt, bekommt immerhin die Hälfte erlassen – auch das ist neu. Zusätzlich hat der Staat in den vergangenen Wochen die Kreditvergabe an Privatbetriebe erleichtert, diese dürfen jetzt bereits Kredite ab einer Mindesthöhe von 1.000 Peso (40 US$) aufnehmen, vorher lag diese bei 3.000 Peso (120 US$). Die Abzahlung kann jetzt bis zu 10 Jahre dauern, vormals musste der Kredit innerhalb von fünf Jahren zurückbezahlt werden. Dies dürfte gerade kleinere Privatbetriebe stützen und die Nachfrage nach Lizenzen für die 18 neuen Berufe beschleunigen. Gleichzeitig schafft der Staat selbst durch die Vermietung von Taxis tausende neue Arbeitsplätze im Privatsektor. Auch die staatliche Telekom „ETECSA“ wird in diesem Jahr private Verkäufer mit einer Lizenz als „Cuentapropista“ unter Vertrag nehmen. Verträge zwischen Privat- und Saatssektor wurden mit dem neuen Gesetz ebenfalls legalisiert.

Die kubanische Regierung hat sich nun ihr neues Modell vom Privatsektor zurechtkonzipiert. Und das relativ kohärend und dialektisch: Wenn am einen Ende unerwünsche Auswüchse (Spekulation, Wucher, Preiserhöhungen, etc.) durch Gesetze abgeschnitten wurden, dauerte es meist nicht lange, bis an wichtiger Stelle neue Möglichkeiten entstanden (18 neue Berufe, Cubataxi, Etecsa). Nach drei Jahren sind damit auch die meisten rechtlichen Unklarheiten beseitigt, wer heute im Privatsektor arbeitet weiß genau worauf er sich einlässt. Wesentliches Merkmal dieses „neuen“ Privatsektor ist seine Kleinteiligkeit: Die meisten der neuen Berufe werden auf individueller Basis ausgeübt, die Unterhaltung größerer Betriebe bleibt den Genossenschaften sowie dem Staat vorbehalten. Auch die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen kann mit dem neuen Bußgeldkatalog, bei richtiger Implementierung, nicht nur neue Einnahmen generieren, sondern vor allem auch Servicequalität, Preisstabilität und Sicherheit für die Kunden steigern. Wichtig ist nun, dass die Umsetzung des Gesetzes flächendeckend erfolgt, indem eine wirksame „Kontrolle der Kontrolleure“ illegalen Absprachen, Bestechungen und willkürlichen Gesetzesbeugungen schon von Anfang an das Wasser abgräbt.

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0 Gedanken zu “Kuba reguliert den Privatsektor neu

  1. Das die 3D-Kinos geschlossen wurden war reine Schikane. Die privaten Textilienhändler waren allerdings den Behörden ein Dorn im Auge weil sie qualitativ bessere Ware zu einem günstigeren Preis verkauften als die staatlichen Läden ihren minderwertigen China-Schrott. Die wurden ihre Ware einfach nicht mehr los. Da stellt sich eher die Frage wer sich nun wirklich „bereichert“ hat. Die „Privaten“ haben sich auch nur mit Mühe über Wasser gehalten und wurden von den Steuereintreibern ganz ordentlich abgezockt. Das Thema miserable Schuhe (für $ 20 -$40) aus China sind übrigens immer noch ein Dauerbrenner in Kuba.

  2. Bei den 3D-Kinos stimme ich zu. Bei den Kleiderverkäufern muss man sich allerdings die Frage stellen, welche Form des Einzelhandels langfristig erfolg haben soll. Mag sein, dass das Angebot in den staatlichen Läden derzeit schlechter als bei den Privathändlern ist – allerdings leben diese oft von illegalen Importen oder auf dem Schwarzmarkt erworbener Ware. Wenn man das duldet, nimmt man auf lange Sicht diese negativen Folgen in Kauf. Zudem sind die Bedingungen für Lagerung, Beratung und Verkauf in kontrollierten Umgebungen wie staatlichen Läden wesentlich besser, als irgendwo im Hauseingang oder auf der Straße. Da muss sich die Regierung jetzt eher fragen, wie man staatliche Geschäfte effizienter verwalten kann und den Ansprüchen der Konsumenten besser gerecht wird.

  3. Die Kulturpolitik gehört grundsätzlich dem sozialistischen Staat, ebenso Erziehung und Bildung! Immer! Die Schließung dieser Kinos, die zum Teil Trivialfilme zeigten unter anderen auch sexistische und soft- oder pornografische Filme zeigten, ist nicht hinnehmbar…

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