28. März 2024

Ministerrat fühlt Kubas Wirtschaft auf den Puls

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Sitzung des kubanischen Ministerrats am 21. Juni 2014 (Quelle: Granma)

Am vergangenen Samstag traf sich der kubanische Ministerrat zu seiner turnusmäßigen Sitzung, um die Ergebnisse der kubanischen Volkswirtschaft im ersten Halbjahr 2014 zu besprechen, sowie über den aktuellen Umsetzungsstatus der 2011 verabschiedeten Leitlinien zu informieren. Am 5. Juli wird sich dann das kubanische Parlament zu seiner regulären Sommersitzung treffen, um die hier vorgeschlagenen Maßnahmen zu diskutieren und in Gesetzesform zu gießen. Die wichtigsten Informationen der Ministerratssitzung werden im folgenden zusammengefasst:

Allgemeine Wirtschaftsperformance

  • Das BIP-Wachstum betrug im ersten Halbjahr 2014 lediglich 0,6 Prozent (2013: 2,3 Prozent). Abermals werden daher die ohnehin niedrig gesteckten Erwartungen von 2,2 Prozent Wirtschaftswachstum für das Jahr 2014 nicht erreicht. Stattdessen rechnet man jetzt mit einem Plus von 1,4 Prozent. Dafür benötigt es allerdings eine weitaus größere Dynamik im zweiten Halbjahr, da die kubanische Wirtschaft traditionell in den ersten sechs Monaten des Jahres am stärksten zulegt.
  • Als Gründe für das enttäuschende Ergebnis nannte Wirtschaftsminister Adel Izquierdo Rodríguez: „geplante externe Einnahmen konnten nicht erreicht werden, ungünstige Wetterbedingungen und die interne Schwäche unserer Wirtschaft„. Konkreter wurde es nicht mehr, was sich hinter den ersten beiden Gründen verbirgt kann daher nur vermutet werden. Mit dem ersten Punkt könnte womöglich auf fallende venezolanische Subventionen angespielt werden, denn die gestiegenen Touristenzahlen sowie der hohe Nickelpreis hätten der kubanischen Volkswirtschaft eigentlich gut tun müssen. Mit den ungünstigen Wetterbedingungen sind wahrscheinlich die Regenfälle gemeint die dazu beitrugen, dass die diesjährige Zuckerernte nur um 4 statt wie geplant um 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zulegen konnte.
  • Der Investitionsplan für dieses Jahr wurde bisher etwa zur Hälfte erreicht, man rechnet mit einer Erfüllung von 95 Prozent bis zum Ende des Jahres – hauptsächlich aufgrund von Mängeln bei der fristgerechten Lieferung von Inputgütern, dem Mangel an Arbeitskräften sowie Defiziten bei der Vereinbarung und Durchführung externer Finanzierungen. Die Folge sind sporadische Versorgungsengpässe von Importgütern.
  • Als die Sektoren mit dem größten Wachstum nannte Rodríguez den Transportsektor, Lagerung und Kommunikation, Landwirtschaft, Viehzucht, Forstwirtschaft, die Zuckerindustrie sowie Hotels und Restaurants (Tourismus). Die größten Defizite gab es hingegen bei der herstellenden Industrie – und scheinbar nur dort. Die restlichen Bereiche der Wirtschaft blieben dem Minister zu Folge auf einem ähnlichen Niveau wie 2013.
  • Die geplanten Staatseinnahmen weisen für das erste Halbjahr einen Überschuss von 1,3 Prozent auf, Hauptsächlich aufgrund von Mehreinnahmen bei der Gewinn- und Einkommenssteuer. Die geplanten Staatsausgaben wurden jedoch um 2,2 Prozent unterschritten, vor allem aufgrund der ineffizienten heimischen Produktion, was Investitionen verhindert und zu steigenden Importkosten führt.
  • Einen positiven Trend gab es bei der Herstellung, dem Konsum, dem Import und Export von Energieträgern. Auch der Transportplan wurde bisher übererfüllt, mit positiver Tendenz für den Rest des Jahres.

Umsetzung der Leitlinien

  • Über den aktuellen Status bei der Implementierung der 2011 beschlossenen Leitlinien gab Marino Murillo, Chef der zuständigen Kommission, einen Überblick: „Es kann ein stetiger Zuwachs beobachtet werden, allerdings werden derzeit die qualitativ anspruchsvollsten und entscheidendsten Leitlinien umgesetzt„. Obwohl es partielle Verzögerungen gab, liegt die Umsetzung insgesamt in ihrem Zeitplan.
  • Fortschritte gibt es bei der Erarbeitung des langfristigen Perspektivplans bis 2030, sein Grundgerüst und die Methodik seiner weiteren Erarbeitung wurden bereits bestätigt. Es sollen konkret messbare Indikatoren zum Einsatz kommen, wesentliche Projekte und die Quellen ihrer Finanzierung definiert werden. Ziel ist, einen „nachhaltigen und wohlhabenden Sozialismus“ zu schaffen.
  • Die Umsetzung der Währungsreform liegt im Zeitplan, die wichtigsten Schritte im ersten Halbjahr war vor allem die Schulung des zuständigen Personals. Murillo betonte allerdings: „Die Währungsreform selbst wird nicht alle Probleme der Volkswirtschaft beseitigen, sondern vielmehr ein unverzichtbarer Bestandteil des Prozesses zur Umsetzung der restlichen Vorhaben sein, die auf die Erhöhung der Effizienz und der Arbeitsproduktivität zielen, neben der Perfektionierung der Mechanismen zur Verteilung des erzeugten Reichtums.
  • Das neue Steuergesetz wurde im Jahr 2013 eingeführt, 18 der 25 neuen Steuern sind bereits umgesetzt. 2013 machten die Steuereinnahmen 37% des BIPs aus, wobei 66% der laufenden Ausgaben auf soziale und kulturelle Zwecke entfielen. 124 Unternehmen fuhren im letzten Jahr Verluste ein.
  • Das Kreditprogramm macht Murillo zu Folge deutliche Fortschritte. Bis Ende April wurden 272.332 Kredite im Wert von insgesamt 2,48 Mrd. Peso (ca. 100 Mio. US$) ausgegeben. Zum Vergleich: Bis Juni 2013 waren es 145.000 Kredite im Wert von 36 Mio. US$.
  • Die Reform des Systems der Provinzverwaltung, welche seit 2011 in den neu geschaffenen Provinzen Artemisa und Mayabeque erprobt wird, läuft soweit nach Plan, allerdings wurden bei der Evaluation einige Defizite festgestellt, weshalb das Experiment bis Dezember 2016 verlängert wird.
  • Die Reform zur Trennung von Staats- und Betriebsfunktionen läuft ebenfalls weiter. Die erste Gruppe von 20 staatlichen Einheiten hat die Umstellung bereits hinter sich.
  • Murillo berichtet auch von der Entwicklung der neuen Unternehmensgruppe der biotechnologischen und pharmazeutischen Industrie: „Die Integration ist eine Stärkung der Entwicklung und Effizienz der Industrie“. Die 2012 entstandene Unternehmensgruppe BioCubaFarma stellt derzeit 66 Prozent der im Land benötigten Medizin her und erfüllte ihren Exportplan im vergangenen Jahr. Es wurden 50 neue Medikamente entwickelt, wovon sich bereits 20 in der Produktion befinden.
  • Von den 498 Kooperativen außerhalb der Landwirtschaft, deren Gründung im April 2013 beschlossen wurde, haben sich bis Ende Mai 2014 bereits 249 konstituiert.
  • Zum selben Stichtag zählte das Land 467.000 Beschäftigte im Privatsektor (Cuentapropistas).
  • Zur experimentellen Bildung von Großmärkten für die Landwirtschaft in den Provinzen Havanna, Artemisa und Mayabeque seit Januar 2014 sagte Murillo: „Die ersten fünf Monate dieses Experimente waren charakterisiert von der Arbeit zur Reorganisierung und Erneuerung des Einzelhandelsnetzes und dem Aufbau eines Großhandelsnetzes.“ Obwohl ein leichter Anstieg der Produktqualität und Vielfalt festgestellt werden konnte, bereiteten die Preiserhöhungen dem Endverbraucher sorgen. Diese sind auf Spekulationsgeschäfte und die ungenügende heimische Produktion zurückzuführen.
  • Der experimentelle Verkauf von Flüssiggas zu unsubventionierten Preisen, der im Januar 2013 auf der Insel der Jugend begann und Mitte 2013 auf die Provinzen Havanna und Santiago de Cuba ausgedehnt wurde, läuft reibungslos.

Geplante Gesetze

  • Ein wichtiges Thema beim Vorschlag neuer Gesetzesvorhaben war das kubanische Energiesystem. Der Anteil erneuerbarer Energien am kubanischen Strommix beträgt derzeit lediglich 4,3 Prozent. „Es ist dringend notwendig, die Energieeffizienz zu erhöhen und schrittweise erneuerbare Energieträger einzuführen, um die Struktur der kubanischen Energiematrix zu verändern. Dadurch wird die Abhängigkeit von importierten fossilen Brennstoffen ebenso wie die Energiekosten reduziert und es entsteht weniger Umweltverschmutzung„, erklärte Murillo. Ein kubanischer Durchschnittshaushalt verbraucht derzeit 180 KW/h Strom pro Monat und zahlt dafür 36,6 Peso (ca. 1,5 US$) während dies den Staat 220 Peso (ca. 8,8 US$) kostet. Deshalb soll ein verstärker Ausbau der erneuerbaren Energien zu einer Dezentralisierung und Kostensenkung beitragen, für die Endkunden sollen neue Anreize und Kreditmodelle zum Erwerb energieeffizienter Haushaltsgeräte geschaffen werden.
  • Der Staat wird sich in Zukunft vollständig aus dem Bereich der Gastronomie sowie der Service- und Technikdienstleistung zurückziehen. Entsprechende Einrichtungen sollen an das Personal verpachtet werden und auf Basis von Angebot und Nachfrage arbeiten, wobei die Immobilie in staatlichem Besitz verbleibt. Murillo sagte hierzu: „Einheiten, die das Programm der nicht-staatlichen Verwaltung übernommen haben, erzielten vorteilhafte Ergebnisse: die Arbeiter konnten ihre Einkommen erhöhen, Räumlichkeiten wurden wiederbelebt, die Öffnungszeiten ausgedehnt, während gleichzeitig die Preise in Übereinstimmung mit einer Zunahme von Qualität und Vielfalt des Angebots stiegen.
  • In den Provinzen Matanzas, Cienfuegos, Sancti Spíritus, Ciego de Ávila, Camagüey und Guantánamo läuft seit September 2014 eine experimentelle Hochschulreform, die  kleinere Hochschuleinrichtungen zu größeren Zentren zusammenfassen soll, um deren Qualität und die Ausnutzung der vorhandenen Räumlichkeiten zu verbessern. Ab September 2015 werden sich sechs weitere Provinzen an der Reform beteiligen, ab September 2016 kommt Havanna hinzu.

Unregelmäßigkeiten und Korruption

  • Gladys Bejerano, Vorsitzende des nationalen Rechnungshofs, gab einen Einblick über den Stand der Korruptionsbekämpfung in Kuba. Ihr zu Folge gebe es Defizite beim zeitnahen Aufspüren von Unregelmäßigkeiten, vor allem bei staatlichen Einheiten in lokaler Trägerschaft, in Läden- und gastronomischen Betrieben. Einheiten, die mit der Herstellung und dem Verkauf von Nahrungsmitteln beauftragt sind, sind dabei besonders anfällig für Korruption. Häufig kommt es zu Diebstählen des Inventars, Auffälligkeiten in den Rechnungen und überzogenen Inputanforderungen an die Planungsbehörden. Dennoch hat Bejarano zu Folge die externe Kontrolle in den letzten Jahren an Erfahrung und Professionalität gewonnen.
  • Rodrigo Malmierca Díaz, Minister für Außenhandel und Direktinvestitionen, berichtete von verzögerten Zahlungen an ausländische Frachter, verspäteten Importlieferungen und Qualitätsproblemen im Bereich des Außenhandels. Die neu verabschietete Resolution 50, die das Qualitätsmanagement im Außenhandel neu regelt, soll zur Verbesserung der Situation beitragen.

Fazit

Trotz der Fortschritte bei der Umsetzung der Leitlinien war der Grundtenor dieser Ministerratssitzung deutlich weniger optimistisch als vergangenen Sommer, als die zweite Phase der Leitlinien offiziell eingeläutet wurde. Das Wirtschaftswachstum unterschritt sogar die verhaltenen Erwartungen die für dieses Jahr angesetzt wurden, was bereits zu einigem Unmut geführt hat, der sich auch im kubanischen Internet zeigt. „Es ist ziemlich traurig, dass das was sie uns Jahr für Jahr versprechen von Sitzung zu Sitzung nicht erreicht wird“, fasste ein Kommentator auf „Cubadebate“ die Stimmung vieler Kubaner zusammen.

Die kubanische Wirtschaft befindet sich derzeit in ihrer empfindlichsten Phase seit 2011, da hinter den Kulissen mit der Währungs- und Unternehmensreform derzeit die Grundpfeiler des Wirtschaftssystems neu abgesteckt werden. Für Januar 2015 rechnen Ökonomen mit der Umstellung auf Peso Nacional in der Buchführung der staatlichen Unternehmen, was einen enormen Kraftakt für eine Volkswirtschaft bedeutet, die sich noch immer nicht vollständig von den Folgen zweier Hurrikane im Jahr 2012 erholt hat.

Dennoch stellt sich die Frage, welche „geplanten externen Einnahmen“ ausblieben und ob dies eine Folge schwankender Weltmarktpreise oder zurückgehender Subventionen aus Venezuela ist. Das verhältnismäßig schlechte Ergebnis der Zuckerernte kann jedenfalls nicht allein für das Verfehlen des Wachstumsziels verantwortlich sein, da dieser Sektor heute eine verhältnismäßig geringe wirtschaftliche Bedeutung hat. Die gute Performance der Tourismus- und Nickelindustrie, mit jährlichen Deviseneinnahmen von knapp 4 Mrd. US$, hätten dieses Defizit jedenfalls locker überkompensieren müssen.

Es bleibt abzuwarten, welche neuen Maßnahmen das kubanische Parlament im kommenden Juli verabschieden wird und wie die Umsetzung des Gesetzes über ausländische Direktinvestitonen ablaufen wird, das am 27. Juni in Kraft tritt. 2014 wird in jedem Fall ein Jahr der Umstrukturierung und der Vorbereitung auf ein 2015, das deutlich besser laufen muss. Dazu fand Raúl Castro bereits am Anfang der Sitzung die richtigen Worte: „Eine gigantische Aufgabe liegt vor uns, aber wir dürfen uns weder von den Problemen überwältigen lassen noch uns vor ihnen fürchten. Wir müssen Optimisten sein, denn das war schon immer der Geist der Revolution.“

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