19. Juni 2025

Wanderer zwischen den Welten: Ein Leben in Cuba und Florida

Raúl Pérez Góngora, 65 Jahre, gehört zur winzigen Gruppe von Menschen, die in den USA und in Cuba leben. Raúl bezieht in Florida seine Rente und eröffnete im Mai 2023 in seiner Heimatgemeinde Mella im Osten Cubas den Open Air Paladar (Privatrestaurant) „El Rakata“, weil er sich spirituell zur Heimat hingezogen fühlt. Er teilt seine Zeit hälftig zwischen den verfeindeten Ländern auf. Andreas Hesse hat sich mit ihm unterhalten: über Selbstständigkeit auf Cuba, ihre Möglichkeiten und Beschränkungen; über Donald Trump, die Beziehungen USA-Cuba und die menschlich und wirtschaftlich verheerenden Folgen der neuen Migrationspolitik Washingtons.

Ein Gastbeitrag von Andreas Hesse.

Wie ist es zu diesem Lebensentwurf gekommen?

Im Jahr 2011 bin ich in die USA gegangen. Ich lebe in Sebring, Florida. Da geht es mir gut, ich beziehe dort meine Rente und arbeite gleichzeitig weiter als Taxifahrer bei Uber, wenn ich dort bin. Spirituell hängt mein Herz an meiner cubanischen Heimat. Heute teilen wir die Zeit zwischen Cuba und Florida auf, je nach den aktuellen Erfordernissen. Weggegangen war ich, um meine wirtschaftliche Situation zu verbessern. Ich hatte immer die Idee, hier in Cuba wieder ein Projekt mit meiner Familie aufzuziehen, was ja heute im Gegensatz zu früher auch geht. Das sollte in meinem Heimatort sein, auch wenn die Gemeinde Mella, seitdem die Zuckerfabrik geschlossen wurde, wirtschaftlich am Boden liegt. Aber wir haben nicht an Geld gedacht, sondern an den menschlichen Faktor, deswegen haben wir es nicht in Havanna oder Santiago gemacht. Das bereichert mich spirituell, nicht materiell. Es ist eher ein kulturelles oder kommunitäres Projekt als ein Geschäft. Wir vermieten auch Zimmer, hier gab es bisher kein Hotel und keine Pension. Wenn ein Tourist die schöne Umgebung erkunden will, den großen Stausee oder die Berge und dort vielleicht zum Naturhotel Pinares de Mayarí will, organisieren wir das alles. Es gibt immer wieder kulturelle Aktivitäten hier. Unser Projekt wurde schon von internationalen Organisationen positiv evaluiert, zum Beispiel aus Italien.

Die Kaufkraft hier ist sehr gering. Deswegen ist unser Angebot günstiger als bei anderen paladares, denn wir wollen, dass alle herkommen können. Wir machen auch keine sozialen Unterschiede. Der einfache Arbeiter wird genauso behandelt wie einer, der Geld hat. Es geht um Respekt. Wenn die Landsleute im Ausland ihren Angehörigen im Ort Lebensmittel zukommen lassen möchten, überweisen sie uns Geld und wir kümmern uns um die Lieferung. In unserem Innenhof wurde übrigens kein Baum oder Strauch entfernt, deswegen haben wir Guaven, Zitronen, Pampelmusen, Zapotes, Orangen, Mangos und Kokosnüsse.

Was sind die größten Herausforderungen für dich?

Der Staat gibt vor, wie viele Angestellte ich haben darf. Dabei kann der Staat das nicht wirklich beurteilen, das beschneidet uns. Die alltäglichen Nöte führten schon dazu, dass wir von Angestellten beklaut wurden, wie es in jedem anderen krisenhaften Land auch passiert. Außerdem gibt es die Mentalität der Arbeiter aus Staatsunternehmen, alles mitgehen zu lassen. Das geht bei uns natürlich nicht. Bei uns gibt es aber auch keine Notwendigkeit, denn wir zahlen nicht nur besser als der Staat, sondern auch besser als die anderen Privaten. Mittlerweile haben wir gutes Personal gefunden.

Wie beurteilst du die politische Lage zwischen den USA und Cuba?

In Cuba waren wir im Grunde immer auf die USA hin ausgerichtet, allein wegen der Nähe und des Entwicklungsniveaus. Meine große Sorge ist, dass Trump die Flugverbindungen zwischen Florida und den cubanischen Provinzflughäfen kappt, so wie er es schon einmal gemacht hat, als nur noch Flüge nach Havanna erlaubt waren. Bei den Straßenverhältnissen ist es sehr anstrengend, von Havanna in den Osten und zurück zu reisen.

Seit 1959 gab es immer wieder Etappen von etwas größerer Flexibilität, dominant waren aber die Phasen von Aggressivität. Wenn immer Washington „Maßnahmen“ ergriff, musste die einfache Bevölkerung in Cuba sie ausbaden. Für sie hat sich das Leben unendlich verkompliziert. Die einfache Bevölkerung kann sich inflationsbedingt nichts mehr leisten und sieht die Früchte ihrer Anstrengung nicht mehr.

Wie siehst Du die Situation der cubanischen und nichtcubanischen Migranten in den USA?

Die meisten Menschen aus Cuba sind in den letzten Jahren über Nicaragua ausgewandert (wohin man ohne Visum fliegen kann, Anm. d. Verf.). Nicht für alle hat sich der Traum erfüllt. Für manche deswegen nicht, weil sie es nicht geschafft haben, weiterzukommen, jedenfalls nicht bis in die USA. Wieder andere sehen ihren Traum heute als Albtraum, sei es, weil sie ihren Aufenthalt nicht legalisieren konnten, sei es, weil sie die Härte der ökonomischen Realität nicht verkraften. Manche werden jetzt abgeschoben, andere kommen dem zuvor und „schieben sich selbst ab“. In Cuba beginnen sie dann vielleicht bei null, weil sie Auto und Haus verkauft hatten. Wieder andere haben nicht einmal das Geld, um sich ein Rückreiseticket nach Cuba zu finanzieren. Dann gibt es noch die, die politisches Asyl bekommen haben und die kaum, dass sie ihre Papiere erhalten, nach Cuba in Urlaub fliegen, wo sie doch angeblich verfolgt werden. Das sorgt für richtig böses Blut.

Manche cubanische Menschen sind noch sehr ihren kulturellen Mustern verhaftet, etwa was laute Musik anbelangt. Oder die Respektlosigkeit, die sie gegenüber Polizisten in Cuba zeigen. Mach das mal mit einem Polizisten in den USA – da handelst du dir ein ganz böses Problem ein!

Viele sogenannte indocumentados (Menschen ohne Papiere) aus allen Ländern arbeiten und zahlen Steuern in den USA. Da sie nun von Abschiebung bedroht sind, verstecken sie sich und erscheinen nicht zur Arbeit. Ihre Kinder haben Angst, zur Schule zu gehen. Die ökonomischen Effekte sind enorm. Die fehlenden Arbeitskräfte führen zu existenziellen Problemen in der Bauwirtschaft, bei einfachen Dienstleistungen und in der Landwirtschaft. Die Bevölkerung zahlt die Zeche für die Trump’sche Politik mit Inflation. Wir können schon Hamsterkäufe beobachten. Man muss sich einmal in die Lage der indocumentados hineinversetzen, wenn plötzlich Vater, Sohn, Onkel oder Tante abgeschoben wird. In ihren „Heimatländern“, die sie manchmal kaum noch kennen, haben sie vielleicht nichts mehr, was ihnen noch helfen könnte. So entstehen dort dann Banden wie etwa die Mara Salvatrucha in El Salvador.

Das Interview führte Andreas Hesse am 7. März 2025 in J.A. Mella, Provincia Santiago de Cuba.

Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus ila 484 (April 2025), mit freundlicher Genehmigung des Autors. Einige Links wurden nachträglich eingefügt.

Andreas Hesse besucht die Insel seit 1992 und schreibt seit über zwei Jahrzehnten für verschiedene Medien über Kuba, zuletzt regelmäßig für ila.

Über die ila:
Die Informationsstelle Lateinamerika e. V. (ila) ist ein gemeinnütziger Verein mit Sitz im Oscar-Romero-Haus in Bonn. Das Ziel des Vereins ist die Veröffentlichung kritischer und unabhängiger Informationen aus Lateinamerika. Der Schwerpunkt liegt auf Nachrichten und Hintergrundinformationen aus basisdemokratischer Perspektive. Der Verein besteht seit 1975 und gibt die gleichnamige Zeitschrift ila heraus.

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