14. August 2024

Eine andere Welt: Berliner Studierende zu Gast in Kuba

Glänzend bunte Oldtimer, Sozialismus und der Sonnenuntergang am Palmenstrand untermalt von Salsa-Musik: Das sind die Bilder, die die meisten über Kuba im Kopf hatten, bevor es für sie im Februar 2024 zur Studienreise nach Kuba ging. Dabei bereitete sich die Delegation der Alice Salomon Hochschule aus Berlin ein ganzes Semester aktiv auf ihren akademischen Austausch mit der neuen Partner-Universität in Sancti Spíritus (Universidad de Sancti Spíritus José Martí Pérez, kurz: UNISS) vor: Die Geschichte und Zusammenhänge Kubas wurden ausgiebig erarbeitet, aber dass diese Reise am Ende aber Weltbilder verändern sollte, indem man hier erkannte, wie viel reicher das geschlagene Kuba trotz aller auferlegter Hürden ist, hätten sie wohl nicht geglaubt. Doch Kuba ist nunmal kein Land, in dem man Urlaub macht, sondern eine andere Welt, in die man eintaucht.

Soziale Arbeit in Kuba und Deutschland

Zu sehen ist eine Reisegruppe in einem älteren rustikalen Bus
Auf Landpartie: Wenn der Bus es zu wenig Sitzplätze hat, werden eben noch Plastikstühle dazu gestellt. Pragmatismus wird in Kuba groß geschrieben (Quelle: Tim Schäfer)

Die Studierenden des Bachelorstudiengangs Soziale Arbeit wurden Ende Februar in Sancti Spíritus von  Professor:inneen und Studierenden der Studiengänge trabajo social y cultural (Soziale Kulturarbeit) und gestión sociocultural para el desarrollo (Soziokulturelles Management für Entwicklung) mit einem herzlichen Begrüßungsritual empfangen. „Soziale Arbeit“ als Studiengang hat in Kuba eine etwas andere Auslegung, als in Deutschland – die Förderung des kulturellen Lebens und Schaffens wird in Kuba groß geschrieben und ist seit der Revolution eine der zentralen Säulen des gesellschaftlichen Miteinanders, weswegen Soziale Arbeit in Kuba stets in Verknüpfung mit Kultur steht. Bereits in jungen Jahren wird die künstlerische Identitätsfindung gefördert und über die Wichtigkeit einer lebhaften Kultur aufgeklärt. Kulturelle Bildung und die Teilhabe am kulturellen Leben sind essentielle Bestandteile der Sozialen Kulturarbeit auf Kuba. Die UNISS unterstützt und fördert in diesem Zusammenhang verschiedenste Gemeinschaften und Projekte in der ganzen Region, die auch als Orte der Vernetzung und des „Powersharings“ dienen.

Wie hinlänglich bekannt, versuchen die USA die kubanische Insel samt Bewohner:innen weitreichend vom globalen Handelsmarkt und der Weltwirtschaft abzuschotten. Nicht nur, aber vor allem Benzin ist daher im ganzen Land momentan eine Rarität; der inländische Transport ist ein Luxus geworden, den sich Einheimische kaum leisten können. Umso außergewöhnlicher, dass den angehenden Sozialarbeitenden vor Ort ein Bus bereitgestellt werden konnte, um der Gruppe Begegnungen und vor allem Einblicke tief ins Land gewähren zu können: Es wurden zahlreiche Exkursionen in verschiedene Gemeinden weit außerhalb von Sancti Spíritus unternommen, die aufzeigten, wie der Alltag und die Arbeitsweise der kubanischen Sozialarbeitenden aussieht und somit etliche Aha-Erlebnisse zur sozialkulturellen Arbeit in Kuba bereithielten.

Radiogerätschaften aus der ehemaligen DDR

Einer dieser Besuche führte zum Provinzialradiosender Radio Sancti Spíritus (RSS), dem größten Rundfunksender der Region. Vor Ort gab es einen Empfang aus verschiedenen Rundfunksprecher:innen, Journalist:innen, Kommunikator:innen, Kunstschaffenden und Programmdirektor:innen, der tiefe Einblicke in das multidimensionale Schaffen des Senders bereithielt. Das Programm spricht mit diversen Inhalten an: es gibt vorwiegend an die ländliche Bevölkerung gerichtete Sendungen, Informations- und Nachrichtenrubriken zu Neuem aus Politik, Landwirtschaft, Umweltschutz und Kultur, sowie einen sorgfältig zusammengestellten „mezcla“ aus Salsa, Guaracha, Mambo, Guaguancó, Son, zeitgenössischen Musiktrends und vielem mehr, um allen Altersklassen unter den Hörer:innen etwas zu bieten. Eine Führung durch das Tonträgerarchiv unterstrich das breite musikalische Programm des Senders und ließ die Herzen von Musikliebhaber:innen höher schlagen: unzählige Schallplatten, Kassetten und Tonbänder – nicht wenige mit der Aufschrift „Hergestellt in der Deutschen Demokratischen Republik“ – werden hier sorgfältig aufbewahrt, gepflegt, restauriert und digitalisiert, um die Hörer:innen zu begeistern. In verschiedenen Studioräumen trifft man bis heute noch Gerätschaften wie Mixing-Konsolen aus der DDR an, welche durch die Tontechniker:innen auch Jahrzehnte später noch am Leben erhalten werden.

Eine Gruppe in einem Stuhlkreis in einem Kolonialgebäude
Im ehemaligen Kunsttreff UNEAC wurde ein Rückzugsort für die deutschen Studierenden eingerichtet, um hier regelmäßig über das Erlebte reflektieren und über das noch Kommende sprechen zu können, manchmal (wie hier im Bild) auch für Vorträge genutzt. (Quelle: Tim Schäfer)

Angekommen im Senderaum durften die Studierenden einem Rundfunksprecher bei einer seiner Live-Ansagen zusehen und -hören, ehe eine Studierende sogar zu einem kurzen Interview mit dem Sprecher in seine Box gebeten wurde. Schließlich durfte die Gruppe in einem der Aufnahmeräume Augenzeuge werden, wie gerade eine lokale Band einen Song aufnahm. Ein Songwriter trug einen extra für den Berliner Besuch verfassten Song vor, mit rhythmischer Untermalung der Band – und das live auf Sendung! Eine wunderbare Geste, die viele der Studierenden sehr rührte.

Lehrstuhl für Senior:innen

Den Studierenden wurde eine weitere Exkursion in die Werkstatt für Menschen mit Beeinträchtigungen EMPROVA in Sancti Spíritus angeboten. In dieser Werkstatt werden verschiedenste Textilien und Haushaltswaren von dutzenden Personen mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen hergestellt. Anders als in Deutschland ist es in dieser Werkstatt eine Selbstverständlichkeit, dass die Menschen den gesetzlichen Mindestlohn für ihre Arbeit erhalten. Als Dankeschön für ihren Besuch erhielten die Studierenden hausgefertigte Topflappen, Kissenbezüge und Tischdecken, die jetzt das ein oder andere Berliner Zuhause schmücken.

Ein weiteres Projekt, dass die Studierenden der Alice Salomon Hochschule besuchen durften, war die „tedra del Adulto Mayorin der Galería de Arte Oscar Fernández Morera, ein mit Unterstützung der UNISS geförderter Lehrstuhl für Senior:innen. In dieser Einrichtung können Menschen im gehobenen Alter sich nicht nur fortbilden, sondern auch an zahlreichen Gruppenaktivitäten und kreativen Workshops teilnehmen. Von Poesie über kreatives Schreiben bis zu einem hauseigenen Frauenchor bekamen die Studierenden hier berührende Werke geboten, die nicht alle Augen trocken ließen. Neben den facettenreichen Angeboten der tedra del Adulto Mayor fungiert diese Einrichtung aber auch als Ort der Vernetzung für Menschen im gehobenen Alter. Denn wenn die besuchten Einrichtungen ein Gefühl vermittelten: dann, dass in Kuba niemand alleine gelassen wird.

Akademischer Austausch

Die Kooperation zwischen der ASH und der UNISS ist Powersharing der besonderen Art: Sie ist auf Langfristigkeit angelegt, dieses war das erste persönliche Treffen, das trotz infrastrukturellen Hürden vor allem dank Organisations- und Improvisationstalent der beiden federführenden Professor:innen Dr. C. José Ramón Neira und Dra. C. Doralquis León Gonzalez stattfinden konnte. Vorträge von zahlreichen Lehrenden der UNISS über Sozialpolitik, Wirtschaft bis hin zu Umweltpolitik  und -wissenschaft wurden dabei unermüdlich von Professor Dr. C. Filipe Hernández Pentón übersetzt, der einen Austausch über die sprachlichen Barrieren hinaus überhaupt erst ermöglichte.

So gewährte etwa ein Vertreter des Umweltministeriums Einblicke in die ökologischen Katastrophen, mit denen sich Kuba aufgrund des Klimawandels neben der jahrzehntelangen US-Blockade konfrontiert sehen muss: Wegen seiner Lage ist Kuba sehr anfällig für Hurricanes und Extremwetter, die oftmals Schäden in Milliardenhöhe hinterlassen. Auch der Anstieg des Meeresspiegels führt zu der Versalzung von wertvollem Agrarland, steigende Wassertemperaturen zu der Zerstörung der weitläufigen Korallenriffe. Kuba schaffte es trotz dieser Hürden eine globale Vorbildfunktion einzunehmen: Das Land stellte die eigene Agrarproduktion auf vollständig ökologisch-nachhaltig um und wird schon seit Langem für seine ausgeklügelte Schutzstrategie bezüglich Hurricanes gelobt, welche stets weniger Todesopfer fordern als in Kubas Nachbarländern. Laut dem SDI-Bericht (Sustainable Development Index) von 2019 rangiert Kuba unter den Top Fünf der am nachhaltigsten entwickelten Ländern der Welt, während Deutschland sich gerade einmal auf Platz 134 wiederfindet.

Auch abseits der akademischen Ebene war Austausch stets ein zentraler Punkt: Die kubanischen Studierenden zeigten ihr Zuhause und brachten den deutschen Studierenden selbstlose Gastfreundschaft, vor allem aber ebenjene Herzlich- und Menschlichkeit entgegen, die man in Deutschland teils vergeblich sucht. So sagte ein Kubaner zum Thema Rassismus: „Hier sitzen alle am gleichen Tisch und trinken alle aus demselben Glas Rum.” Ein Sinnbild dafür, was dieser Austausch erreichen wollte: einen Rundumschlag, um nicht nur das System Kubas kennenzulernen, sondern vielmehr, um den Teilnehmenden auch aufzuzeigen, was Gemeinschaft eigentlich bedeutet, und wie wir sie nicht nur um uns herum, sondern vor allem auf der gesamten Welt erreichen sollten zu kreieren. Mit kultureller Sozialer Arbeit. Vor allem aber: mit Solidarität. Denn Solidarität ist es, was die Menschheit zusammenhält.

Ein Gastbeitrag von Aaron Benjes, Nerea Moratilla Lozano und Sophie Strauß.
Die Autor:innen sind Studierende der Alice Salomon Hochschule Berlin im Studiengang BA Soziale Arbeit und angehende Sozialarbeitende. Sie haben die Partneruniversität UNISS im Februar und März 2024 als Teil einer Delegation aus Studierenden und Professoren im Rahmen der Ende 2022 geschlossenen Kooperationspartnerschaft besucht.

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