18. März 2024

Käsekauf in Havanna – eine Anekdote über die „interne Blockade“

Käsetheke im Supermarkt „3ra y 70“ in Havanna (Quelle: eigene Aufnahme)

Es besteht kein Zweifel, dass die angespannte Lage im kubanischen Einzelhandel der schwierigen externen Situation des Landes geschuldet ist, woran die US-Wirtschaftsblockade einen großen Anteil hat. Doch es gibt auch immer wieder Momente, in denen „el bloqueo interno“, die interne Blockade, Menschen auf dieser Insel zum Verzweifeln bringt. Ein Bericht über einen Käseeinkauf in Havanna.

Nachdem die USA ihre Sanktionen gegen Kuba in jüngster Zeit mehrfach verschärften, sah sich die Regierung gezwungen, die Importe des Landes drastisch zurückzufahren. Dass hat sich neben dem Transportsektor vor allem bei der Verfügbarkeit von Konsumgütern in den Devisenläden bemerkbar gemacht, während der subventionierte Grundbedarf weiterhin garantiert ist. Doch die Lage im Einzelhandel beginnt sich langsam aber sicher zu normalisieren. Heute gab es zum Beispiel in „3ra y 70“, einem der besten staatlichen Supermärkte der Stadt, der in jüngster Zeit vor allem leere Regale zur Schau stellte, endlich wieder zwei verschiedene Sorten Käse.

Zu meiner positiven Überraschung waren dies Tilsiter und Gouda, die beide aus Deutschland importiert wurden. Deren Preise sind zwar gemessen an der Kaufkraft der meisten Kubaner noch immer teuer, jedoch im Endeffekt gar nicht so viel kostspieliger als bei uns – immerhin handelt es sich um Kühlware vom anderen Ende der Welt: So kosten 100g Tilsiter der Molkerei Ammerländer 1,18 CUC (ca. 1,07 €), während 100g Gouda von Oldenburger mit 0,86 CUC (ca. 0,78 €) zu Buche schlagen. Da muss man zuschlagen, dachte ich mir, und reihte mich schleunigst in die Schlange an der Käsetheke ein. Mehrere fette Pakete Käse warteten nur darauf, gekauft zu werden. Und Nachfrage war vorhanden, immerhin war ich augenscheinlich der einzige Ausländer in der Schlange.

Sorgsam schnitt der Mitarbeiter den Gouda in kleine Scheiben, je nach gewünschter Menge der Kunden. Endlich wieder echter Käse in Havanna, dachte ich mir. Als ich mein Stück Gouda hatte, bat ich den Angestellten, mir doch bitte auch etwas vom Tilsiter abzuschneiden. Der Versuchung eines etwas würzigeren Käses habhaft zu werden, kann ich als Süddeutscher nur schwer widerstehen. „Das geht nicht“, belehrte mich der Käseverkäufer in monotoner Stimme, „der Tilsiter wird nur komplett verkauft“. „Komplett“ heißt in diesem Fall: ein Paket von 2,9 Kilogramm für 34 CUC. Auf meine Nachfrage, warum das nicht ginge, lautete die Antwort: „Weil das eben so ist“. Das wollte ich nicht so stehen lassen. „Können Sie mir den Grund nennen, warum hier dutzende Pakete Gouda angeschnitten liegen, aber kein einziger Tilsiter portioniert werden darf?“, fragte ich forsch und erhielt sofort eine Antwort in herablassendem Ton: „Ich weiß nicht, ob du mir nicht richtig zugehört oder mich nicht verstanden hast, aber der Tilsiter darf nur als ganzes verkauft werden.“

Ich war verwirrt. Warum in aller Welt sollte in einem Laden, der genau zwei Sorten Käse anbietet, nur eine portioniert werden dürfen, wenn doch Personal und Gerätschaften dafür vorhanden sind? Nach kurzer Überlegung war ich entschlossen der Sache auf den Grund zu gehen und bat um ein Gespräch mit der Geschäftsleitung, die prompt erschien und mir die vielsagende Erklärung lieferte: „Das ist eine Politik unserer Firma, an der wir nichts ändern können“, woraufhin ich entgegnete: „In diesem Fall muss ich mich wohl direkt an das Ministerium wenden, vielleicht können die mir weiterhelfen.“ Binnen weniger Sekunden winkte die Geschäftsführerin den Mann von der Käsetheke zu sich, es gab ein kurzes Gespräch ohne meine Anwesenheit. Dieser bat mich dann, ihm zur Theke zur folgen: „Wir machen jetzt eine Ausnahme und schneiden dir was vom Tilsiter ab, aber mach so etwas niemals wieder. Der Tilsiter wird nur als ganzes verkauft!“, wiederholte er gereizt, als sei dies der Werbespruch der Käsetheke. Freudig nahm ich also endlich „meinen kleinen Teil vom Glück“ entgegen und bat ihn noch: „Vielleicht kannst Du das einmal im nächsten Belegschaftsmeeting mit eurem Chef ansprechen, damit auch andere Leute etwas von dem Tilsiter probieren können?“. Er verdrehte die Augen und wirkte sichtlich überrascht. Nun war auch er irritiert: „Nein, warum denn? Wir haben doch dein Problem gelöst.“

Das Beispiel illustriert die weit verbreitete „interne Blockade“ Kubas, womit hier bürokratische Hemmnisse und administrative Zwänge gemeint sind, die im Falle des Einzelhandels eine adäquate Reaktion auf die Nachfrage der Kunden verunmöglichen. Dahinter steckt eine bürokratische Denkweise, die den Einkauf in Kuba vielfach zum kafkaesken Erlebnis werden lässt: Der Tilsiter wird nicht angeschnitten, weil er aufgrund des höheren Preises tendenziell weniger verkauft wird und ein Anschnitt bedeutet, dass der Käse schneller schlecht wird. Also verkauft man ihn nur in 2,9 Kilogramm Paketen, mit denen kein einzelner Konsument etwas anfangen kann. So hat es irgendein Bürokrat irgendwann einmal entschieden. Das führt im besten Fall dazu, dass alle Bestände von privaten Restaurants und Zwischenhändlern aufgekauft werden, im schlimmsten Fall, dass die Pakete kiloweise verkommen und weggeworfen werden müssen. Für den normalen Kubaner, der einmal eine weitere Sorte Käse außer Gouda kosten möchte, wird der Kauf jedoch so de facto verunmöglicht.

Das ist ein klassisches Beispiel für einen „Verkäufermarkt“, in dem das Prinzip „Der Kunde ist König“ in sein Gegenteil verkehrt wird. Statt wie im Kapitalismus mit Produkten und Werbung bombardiert zu werden, muss sich der Kunde im hiesigen Verkäufermarkt die Produkte wortwörtlich „heraussaugen“. Ursachen dafür sind mangelnde Anreize für die Generierung von Umsatz, fehlende Flexibilität und im Ergebnis das vollständige Ausbleiben jeglicher Orientierung an den Bedürfnissen der Kunden. Wurden die 2,9 kg-Pakete Tilsiter schlecht, „kann man eben nichts machen“, doch pro forma wurden die Plankennziffern erfüllt: die Ware wurde geliefert und ausgegeben. Schreibt ein Laden damit schwarze Zahlen ist das gut, schreibt er rote, greift der Staat ein und kompensiert die Verluste. Konkurrenz unter den Geschäften gibt es nicht, weshalb auch kein Anreiz besteht, die Servicequalität zu verbessern. Dass das auch anders geht, zeigen „Bruderländer“ wie China und Vietnam, in denen der Verkäufermarkt größtenteils in einen Käufermarkt umgewandelt wurde. Der Weg dahin ist schmerzhaft und voller Widersprüche, denn er bringt auch mehr Konkurrenz und Leistungsdruck mit sich. Doch letzten Endes ist er unausweichlich, da die selbe Kategorie von Problemen auch andere Sphären der Ökonomie betrifft: Industrie, Exporte und Dienstleistungen, die für das Funktionieren einer jeden Wirtschaft –  und damit auch der sozialen Nachhaltigkeit der Gesellschaft – elementar sind.

Ich ging nach jenem Einkauf mit dem Gefühl nach Hause, einen Aspekt klassischer sozialistischer Ökonomie praktisch erfahren und vielleicht auch einen kleinen Beitrag geleistet zu haben. Womöglich, vielleicht, wird ja der heute angebrochene Tilsiter morgen schon weiter portioniert, so dass sich auch andere davon eine Scheibe abschneiden können.

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14 Gedanken zu “Käsekauf in Havanna – eine Anekdote über die „interne Blockade“

  1. Sehr schön geschrieben, sehr gut analysiert! Auch ich stand schon vor dem Tilsiter und ganzen Serrano-Schinken, die nur „entero“ verkauft werden. Mir fielen noch Dutzende anderer grotesker Beispiele ein!
    Immerhin scheint der Vorfall etwas bewirkt zu haben: Anfang der Woche konnte ich im „3ray70“ ein Stück Tilsiter von 500gr. kaufen (die Schneidemaschine war an dem Tag kaputt!). Aber möglicherweise war das nur der Abverkauf des von dir angeschnittenen Käselaibes…

  2. Und um auf die guten Seiten der Sache hinzuweisen: die Versorgungslage ist immerhin so, dass man es sich leisten kann, einen Käse nur ganz anzubieten – ganz einfach, weil es wieder zwei Sorten gibt 🙂 Fast schon ein Luxusproblem, auf jeden Fall eine deutliche Verbesserung zu vor ein paar Wochen!
    Und auf jeden Fall eine schöne Analyse, wie man sich selbst im Weg stehen kann…
    Saludos, Dietmar

  3. Das Problem mit der Portionierung des Käses könnte ja auch ein Käufer eines ganzen Käses machen,indem er es selbst in gewünschte Stücken schneidet und privat weiter verkauft (natürlich mit etwas Gewinn),was aber warscheinlich illegal ist.
    Salutos,auch ein Dietmar

  4. Das ist leider ein allzu menschliches Problem! Phlegma und fehlende Flexibilität bei fehlendem Anreiz, davor ist wohl niemand gefeit! Aber so ist das in vielen ideologischen Systemen, der Faktor Mensch, mit dem rechnet einfach niemand, aber man redet davon, wie’s denn sein könnte, wenn denn nur alle… „Es sind und werden aber nicht alle…!“ sage ich als gelernter DDR-Bürger! 😉
    In keiner Gesellschaft!

    1. Marcel, gratuliere, ein Superbeitrag, gehört in ein Schullehrbuch zum Thema Kommunismus!!
      Wie lange wird es wohl dauern, bis sich das ändert? Ich bin, leider, pessimistisch….

    2. Ich würde es nicht “ menschliches“ Problem nennen. Es ist meines Erachtens ein Erziehungsproblem in einem bestimmten System, hier dem Kommunismus. Man wächst in vorgelebte u damit prägende Denkmuster, es fehlen Anreize Dinge anders zu betrachten und dementsprechend zu handeln.
      Das menschliche Problem liegt bei dem Agieren der Regierenden, die nicht fähig und willens sind, ihre Politik (zum Wohle des Volkes) zu ändern. Sie sitzen zu fest im Sattel, leben gut, ihre Sicht der Welt ist einbetoniert und der Schuldige sitzt immer in den USA. Dort sitzt er ja auch, aber nur zum Teil, die andere Hälfte sitzt in den eigenen Köpfen.

  5. Noch grotesker „Andreas“,Kürzlich brauchte ich ein paar Nägel, endlich fand ich einen Laden der welche hatte, leider nur in Kilopaketen, Erklärungsversuche wie beim Käsekauf bieten sich weit und breit nicht an. „Luxusproblem“ (Dietmar) nur für unsereins, nicht für Kubaner.
    Hab auch schon viel Groteskes erlebt, bin nicht bereit, mir dies mittels intellektueller System-
    analyse auf höherer Ebene zu erklären, womöglich dafür Verständnis zu haben, solche
    Erlebnisse womöglich exotisch verbrähmt zu betrachten.

    Solche Situationen provozieren „Retourkutschen“ im Rahmen des eigenen Einflussbereichs,
    sind nach „oben“ bekannt, vermutlich-warum auch immer nicht unerwünscht.
    Bin- auch nicht unbewußt – Soldat der US Desinformations Armee.

  6. Marcel, gratuliere, ein Superbeitrag, gehört in ein Schullehrbuch zum Thema Kommunismus!!
    Wie lange wird es wohl dauern, bis sich das ändert? Ich bin, leider, pessimistisch….

  7. Da fehlt die Logik. Warum sollte der Verkäufer den Käse nicht anschneiden auf die Gefahr daß es verdirbt, wenn der Staat doch sowieso den Schaden übernimmt.
    Sie sollten aufhören alles aus der kapitalistischen Kommunistenhassbrille zu sehen.
    Ansonsten wär vielleicht eine schriftl. Beschwerde an den Vorgesetzten des Vorgesetzten oder gleich ans Ministerium sinnvoll. Die Frage ist auch noch ob das überall so ist.
    Sowieso ist es eher verkehrt teuer zu importieren. Was nicht selbst an Käse hergestellt werden kann könnte man auch in veganer Version herstellen. Von veganem Käse, Teewurst, Leberwurst, Burger usw ist alles machbar. In der EU braucht ein Veganer 400qm Land, ein „Standard“esser über 3000qm. Schon alleine aus diesem Grund also für Kuba sinnvoll solche Firmen(ansiedlungen) zu fördern.

    1. Kommunisten-Hassbrille? HIER fehlt jegliche Logik!
      Marcel hat hier über einen ganz offensichtlichen Missstand berichtet, der auf menschlichen Fehlentscheidungen beruht, die unlogisch sind (das stellte er bereits dar) und ein Phänomen aufzeigen, das ich schon als Bürger der DDR erleben durfte, wenn nämlich falsche Entscheidungen, Verantwortungslosigkeit und fehlendes Engagement im Job weitestgehend konsequenzlos bleiben. Und auch Ihre Reaktion ist durchaus mit denen der Verantwortungsträger und Betonköpfe von damals vergleichbar: Kritik nicht sinnvoll annehmen und nicht entsprechend sinnvoll darauf reagieren. Sich aber in die eigene Tasche lügen, relativieren, marginalisieren und am Ende ist der Kritiker der mit der „Kommunisten-Hassbrille“! Mit einem solchen Vorwurf und einer weiteren Steigerung der Befindlichkeiten hätte der falsche Mann in der falschen Position damals am Ende vielleicht auch noch die Stasi ins Spiel gebracht. Allein schon wegen solcher Leute kann es eben nicht funktionieren!

      Zu der Notwendigkeit von Importen:
      Kuba muss importieren, weil Kuba keine tragfähige Vieh- und Milchwirtschaft hat. Kuba könnte wahrscheinlich nicht einmal die Rinder sinnvoll ernähren, weil auch das Futter (Soja) importiert werden muss. Anbau- oder Weideflächen stehen nicht in dem Maße zur Verfügung, wie es notwendig wäre. Die dortigen Rinderarten sind zwar Recht robust und kommen mit den klimatischen Bedingungen gut zurecht, sind aber bei weitem nicht so ertragreich wie hiesige europäische Kühe. Über die Schwierigkeit Kühlketten zu garantieren, will ich gar nicht erst schreiben. Jeder der das Land kennt weiß, was ich meine.
      Besonders realitätsfremd empfinde ich dann den Verweis auf vegane Fleisch-Imitat-Produkte, die in der Produktion technologisch deutlich aufwendiger sind und eigene Fertigungslinien benötigen, die Kuba mutmaßlich nicht hat.

      1. Nun, was hab ich geschrieben? Haben Sie das überlesen?
        Kritik nicht sinnvoll annehmen und nicht entsprechend sinnvoll darauf reagieren: DAS tun Sie!
        „Ansonsten wär vielleicht eine schriftl. Beschwerde an den Vorgesetzten des Vorgesetzten oder gleich ans Ministerium sinnvoll. Die Frage ist auch noch ob das überall so ist.“
        Kuba muß importieren weil es etwas versäumt hat.
        Und da die Produktion techn. anders aber nicht aufwendiger ist (Antibiotika, Impfmittel, Hormone.. werden bei veganen Produkten nicht gebraucht) schrieb ich:
        Schon alleine aus diesem Grund also für Kuba sinnvoll solche Firmen(ansiedlungen) zu fördern.
        Aber das haben Sie ja auch überlesen…Nur ja keine Kritik annehmen..

        Und mit Stasi meinen Sie wohl den MfS? Welches Land kam und kommt denn ohne solche Dienste aus? Noch dazu ein Land wie die DDR das unter Terroranschlägen, Sabotage, Schmuggel durch den Westen besonders zu leiden hatte.

        1. Es ist sinnlos und verschwendete Zeit, mit einem überzeugten Kommunisten zu diskutieren. Er wird nie zugeben, dass dies Idee keinen Erfolg hat. Das Einzige, was ihn vielleicht überzeugen würde, wäre, ihn für eine Zeitlang mit einem Monatsgehalt vo 20 CUC nach Cuba zu schicken. Aber da sind die Schuldigen wieder außerhalb und nicht im eigenen Land zu suchen…. hopeless
          Hopeless auch, die Logik hier zu bemühen

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