15. Oktober 2024

Warum Chinas Interesse an Kuba schwindet

Kuba und China haben eigentlich beste bilaterale Beziehungen, wie beide Seiten regelmäßig betonen. Eigentlich, denn die wirtschaftliche Krise auf der Insel hat zumindest die wirtschaftliche Seite im bilateralen Verhältnis der vergangenen Jahre stark beeinträchtigt, wie aus einem Bericht der Financial Times hervorgeht. Dabei sah die Lage vor nicht allzu langer Zeit einmal deutlich besser aus.

Ehemals wichtigster Handelspartner

So löste China das eng alliierte Venezuela im Jahr 2016 als Kubas wichtigster Handelspartner ab. Bis 2017 kletterte der bilaterale Warenumsatz auf 1,7 Milliarden US-Dollar, fiel dann aber auf 1,1 Milliarden US-Dollar bis zum Jahr 2022. Damit rangiert China noch immer unter den vorderen Plätzen, dennoch ist der Abschwung bemerkenswert. Und auch chinesische Investitionen, z.B. in die Sonderwirtschaftszone von Mariel, wollen nicht fließen.

Trotz eines Cybersicherheitsabkommens und der Installation von Glasfaserkabeln, WLAN-Hotspots und anderer digitaler Infrastruktur durch chinesische Konzerne wie Huawei, TP-Link und ZTE auf der ganzen Insel sind die chinesischen Importe insgesamt stark zurückgegangen.

Während sich der chinesische Handel mit Lateinamerika in den letzten zwei Jahrzehnten verzehnfacht hat und China nach den USA zum zweitgrößten Handelspartner der Region aufgestiegen ist, ist Kuba nicht einmal einer der wichtigsten Verbündeten Chinas in Lateinamerika. China unterhält umfassende strategische Partnerschaften mit großen Rohstoffexporteuren wie Argentinien, Brasilien, Chile, Ecuador, Mexiko, Peru und Venezuela, aber nicht mit Kuba.

Auch chinesische Direktinvestitionen in Kuba seien auf einem „lächerlich niedrigen Niveau“ gemessen an den 160 Milliarden US-Dollar, welche die Volksrepublik zwischen 2005 und 2020 in Lateinamerika und der Karibik investiert hat, kommentierte der kubanische Ökonom Omar Everleny.

Obwohl Kuba seit 2018 an Chinas globaler Infrastruktur-Entwicklungsinitiative „Belt and Road“ teilnimmt und China heute noch immer der zweitwichtigste Handelspartner Kubas ist, ist die wirtschaftliche Integration kaum vorangekommen. Warum?

China ist nicht die Sowjetunion

Kubas Präsident Miguel Diáz-Canel besuchte Beijing zweimal, zuletzt im November 2022, und brachte einige Geschenke mit, darunter medizinische Ausrüstung während der Pandemie, eine Spende in Höhe von 100 Millionen US-Dollar und mehrere tausend Tonnen Reis. Doch ein substantielles Ergebnis kam durch die Besuche bisher nicht zustande.

Zentrales Problem sind die hohen Ausstände kubanischer Unternehmen. „Alle großen staatlichen Unternehmen wie Huawei und Yutong haben jeweils offene Forderungen in Höhe von Hunderten Millionen Dollar“, sagte ein Geschäftsmann aus Übersee, der anonym bleiben möchte, gegenüber der Financial Times. Rohstoffknappheit und die anhaltenden Probleme der Wirtschaft lassen Kuba wenig Spielraum für Exporte nach China, während die Importe in den letzten Jahren zurückgegangen sind. US-Sanktionen hätten die Zahlungsausfälle verschlimmert und Kreditlinien ausgetrocknet.

Hinzu kommen Einbrüche in wichtigen Schlüsselbereichen wie der Zuckerindustrie. Diese hat seit der Covid-Pandemie einen herben Einbruch erlebt, der sich voraussichtlich weiter fortsetzen wird. Von den 56 vorhandenen Zuckermühlen waren bei der letzten Saison 2023/24 noch 25 im Einsatz, in der kommenden wird die Zahl auf 15 sinken. Die langjährige Vereinbarung für den Export von jährlich mindestens 400.000 Tonnen Zucker an China konnte deshalb bereits letztes Jahr nicht mehr eingehalten werden, da Kuba nicht mehr genug Zucker für den heimischen Verbrauch produziert. Übrig bleibt noch der Export von Tabak, Nickel, Pharmaprodukten und einigen Meeresfrüchten (wie z.B. Seegurken) nach China, was jedoch wertmäßig gegenüber den Importen kaum zu Buche schlägt.

All dies hat China dazu veranlasst, den bilateralen Handel entsprechend der realen Möglichkeiten Kubas herunterzufahren. Anders als für die frühere Sowjetunion, sei Kuba für China heute kein enger strategischer Partner. „China ist nicht Kubas Sugardaddy, beide Länder sehen sich nicht als strategische Partner“, sagte der ehemalige US-Geheimdienstoffizier für Lateinamerika, Fulton Armstrong, gegenüber der Zeitung. Ähnlich äußerte sich William LeoGrande, Kenner der kubanischen Außenpolitik von der American University: „Die Chinesen sind nicht für ihre Spenden bekannt. Die Kubaner befinden sich jedoch in einer Situation, in der sie auf Spenden angewiesen sind, und haben selbst nicht viel zu bieten.“

Beijing „verwirrt und frustriert“ über Kubas Reformtempo

Es gibt zwar Berichte, die darauf hindeuten, dass China seine Bemühungen verstärkt hat, Kubas strategische Lage in Form von elektronischen Abhöranlagen auf der Insel auszunutzen. Das Center for Strategic and International Studies, ein Think-Tank in Washington, erklärte im Juli, es gebe „wachsende Anzeichen dafür, dass Chinas wirtschaftlicher und politischer Einfluss Türen für sein Militär und seine Geheimdienste in Kuba öffnet“. LeoGrande bemerkte jedoch dazu, dass vor allem bestimmte Kreise in Florida und Washington daran interessiert seien, ein „chinesisches Schreckgespenst in Kuba“ zu kreieren. Die Gerüchte um eine chinesische Abhörstation dienten vor allem „den Interessen der konservativen Kubanoamerikaner, die immer nach Gründen suchen, die amerikanisch-kubanischen Beziehungen nicht zu verbessern“, so LeoGrande.

Ein weiteres brisantes Thema in dem Bericht sind die politischen Konsultationen beider sozialistischer Länder, die seit mehr als 10 Jahren wieder auf höchster Parteiebene stattfinden. Offenbar ist man in Beijing zunehmend frustriert über die Geschwindigkeit der kubanischen Wirtschaftsreformen.

China bekräftigt zwar in öffentlichen Erklärungen immer wieder seine Unterstützung für Kubas Entwicklungsweg, „aber hinter verschlossenen Türen drängen chinesische Beamte die kubanische Führung seit langem, von ihrer vertikalen Planwirtschaft zu einem Modell überzugehen, das dem chinesischen ähnelt“, zitiert die Zeitung anonym bleibende Ökonomen und Diplomaten, die mit der Situation vertraut sind. Chinesische Beamte seien „verwirrt und frustriert über die mangelnde Bereitschaft der kubanischen Führung, ein marktorientiertes Reformprogramm entschlossen umzusetzen, obwohl der Status quo offensichtlich nicht funktioniere“.

Das einst blühende Verhältnis zwischen Kuba und China droht, an der wirtschaftlichen Realität der Insel zu zerbrechen. Trotz strategischer Partnerschaften und gemeinsamer ideologischer Wurzeln scheint in China derzeit der Frust über Reformstau und unbeglichene Handelsschulden zu überwiegen. Während sich die Volksrepublik auf profitable Rohstoffmärkte in Lateinamerika konzentriert, findet Kuba sich augenblicklich in einer geopolitischen Nische wieder – ohne Ersatz für den „Sugardaddy“, den die Insel einst durch den vorteilhaften Handel mit der Sowjetunion hatte.

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