19. März 2024

Essen, um zu überleben

20151012_094643
Cafeteria der Universität Havanna (eigene Aufnahme)

Seit meiner Ankunft in Havanna habe ich hier so manche Gewohnheit ablegen müssen. In Bezug auf seine Küche erweist sich Kuba für mich jedoch als ungeahnte Herausforderung. Denn obwohl es hier allerlei Nahrungsmittel zu kaufen gibt, ist eine abwechslungsreiche und wohlschmeckende Ernährung eine anspruchsvolle Aufgabe die vor allem von drei Faktoren abhängt: der Zeit, dem Geld und der Gelegenheit.

Günstig und verfügbar: Die Peso-Gastronomie

Die einfachste Option hier satt zu werden ist mit Sicherheit eine der zahlreichen Cafeterias und Peso-Restaurants aufzusuchen, die für umgerechnet weniger als einen Euro die immer gleichen Standardgerichte anbieten: Reis mit Bohnen und Avocado, als Beilage gibt es oft fades Hühnchen- oder Schweinefleisch. Darüber werden dort fast immer Pizza, Spaghetti, Fruchtsäfte, Burger und Sandwiches angeboten. Der Vorteil dieser kleinen Cafeterias ist, dass sie praktisch immer und überall verfügbar sind und meist die konstant gleiche Qualität bieten. Der Nachteil besteht in eben jener Qualität.

Was auf den ersten Blick nach einer soliden Auswahl klingt, entpuppt sich in der Praxis oft als eine Odyssee für den Gaumen: Während die Spaghetti so weichgekocht sind, dass sie auf der Zunge zergehen, besteht die omnipräsente American-Style Pizza hier aus öligem Teig mit Käseersatz, dazu gibt es zuckrige Tomatensauce und mittelmäßigen Schinken. Da Milchprodukte hierzulande knapp und teuer sind, müssen natürlich auch die Spaghetti mit Ersatzkäse auskommen. Zwar hat man meistens die Auswahl zwischen Guaven, Mango und Tamarindensaft für lediglich zwei bis drei Peso Cubano – diese sind jedoch oft übermäßig gezuckert und schmecken daher wenig natürlich. Auch die Reis- und Fleischgerichte sind nun wirklich keine Gaumenfreude, da sie meist jegliche Sauce vermissen lassen.

Die nächste Alternative könnte in der staatlichen Cafeteria der Universität bestehen – doch dort wird exakt das selbe wie in den privaten Cafeterias verkauft, nur etwas billiger und schlechter als im Privatsektor. Ein Sandwich kostet dort beispielsweise 5 Peso (etwa 20 Eurocent), was sich auch in der Qualität der verwendeten Zutaten niederschlägt: Billiges Fleisch zusammen mit fettigem Käseersatz und luftigem Weißbrot machen zwar satt, mehr aber auch nicht. »In Kuba fragst Du nicht nach den Zutaten«, sagte mir eine Freundin die ein halbes Jahr hier verbracht hat, »Du isst hier nicht wegen des Geschmacks, sondern weil Du musst. Du musst essen, um zu überleben.«

Knappes Sortiment im Einzelhandel

Bis auf wenige Ausnahmen zieht sich diese traurige Bestandsaufnahme durch große Teile der kubanischen Peso-Gastronomie. Nach einigen Wochen fing mein Magen an zu rebellieren und ich habe versucht meine bescheidenen Kochkenntnisse einzusetzen, um für etwas Abwechslung zu sorgen: Zumindest vernünftige Spaghetti mit Tomatensauce sollten drin sein, dachte ich mir. Selbst Kochen entpuppt sich in Kuba jedoch als mitunter teure Angelegenheit, zumindest wenn man nicht auf die übliche Reis-Avocado-Bohnen-Rezeptur zurückgreifen möchte: Während die Spaghetti mit etwa 90 Eurocent ähnlich teuer sind wie bei uns, sind fast alle anderen Fertiglebensmittel deutlich teurer. Pesto habe ich bisher noch nirgends gefunden und auch »richtiges« Brot scheint hier nicht erhältlich zu sein.

Das Sortiment in den staatlichen Lebensmittelschäften variiert von Woche zu Woche, wobei bevorzugt günstige Produkte von schlechter Qualität importiert werden. Neben Keksen aus Mexiko und Apfelsaft aus Spanien findet man allerlei – jedoch oft nicht das, was man sucht. In vielen fällen führt der Laden dieses oder jenes Produkt nicht, bzw. es ist gerade ausverkauft. Letzten Endes bleibt einem dann nichts übrig, als sein Glück auf der Straße zu versuchen oder zum nächsten Laden zu ziehen. Bedingt durch die Folgen der US-Blockade zu der noch eine saftige staatliche Importsteuer kommt, vergeht einem ohnehin meist die Lust auf viele Produkte: Statt importierter Schokolade für 3-4€ greift man im Zweifelsfall lieber zur heimischen, die zwar schlechter schmeckt, aber für ca. 1€ erhältlich ist.

IMG_7363
Staatliche Lebensmittelgeschäfte weisen oftmals ein recht monotones Sortiment auf

Ohne fortgeschrittene lokale Kochkenntnisse und einen tieferen Einblick in das mitunter eintönige Sortiment der kubanischen Läden und Bauernmärkte wird die Suche nach gesunder und abwechslungsreicher Ernährung hier zur zeitraubenden Aufgabe. Glücklicherweise wird in meiner Casa regelmäßig und viel gekocht, so dass ich öfter umsonst mitessen kann. Kubanische Hausmannskost besteht im Prinzip aus den selben Reis-Bohnen-Avocado-Gerichten wie in den Caféterias, unterscheidet sich jedoch in einem wichtigen Punkt von denselbigen: Die Frische und die Qualität der Zutaten lässt die Gerichte zu einer angenehmen Abwechslung werden.

Und gerade da stellt sich mir die Frage, woher die immer gleiche Komposition der Menükarten herrührt, welche sowohl staatliche als auch private Pesoküchen ihren Kunden anbieten? Mit den verfügbaren Zutaten ließen sich abwechslungsreiche Gerichte zaubern und nur einige wenige Änderungen könnten aus einem schlechten Essen zumindest ein akzeptables werden lassen: Würden all die tausenden Cafeterias hier die Spaghetti früher aus dem Topf nehmen, die Pizzen länger im Ofen lassen, eine Sauce zum Reis anbieten, Fruchtsäfte auch ungezuckert verkaufen, ein paar »exotische« Gerichte zum Speiseplan hinzufügen – die gastronomische Landschaft hier wäre eine andere.

Licht am Ende des Tunnels

Dabei ist es ein Mythos, dass man in Kuba nicht gut essen kann. Neben der grundsoliden Hausmannskost wartet Havanna auch mit einer Vielzahl erstklassiger Restaurants auf, die neben lokaler auch internationale Gastronomie auf Spitzenniveau anbieten. Das einzige Problem: Man benötigt mehr Zeit oder mehr Geld. Doch bereits ab 4 € kann man in so manchem privaten Devisenrestaurant eine wahre Gaumenfreude erleben, die den mit Reis und Bohnen gefüllten Magen für kurze Zeit aufatmen lässt.

Insbesondere das von der spanischen Gesellschaft (Asociación Asturiana) betriebene Restaurant »Los Nardos« sticht hier mit seiner hochwertigen Küche bei hervorragendem Preis-Leistungsverhältnis hervor. Das stadtbekannte Restaurant bietet allerlei spanische und kubanische Gerichte für umgerechnet 4 bis 8 €, was zahlreiche Kubaner dazu motiviert, an besonderen Anlässen hier zu speisen. Entsprechend lang ist die Schlange: Mindestens eine halbe Stunde Wartezeit sollte man einplanen, um in den Genuss von Paella, Camarrones und anderen Gerichten kommen zu können.

Doch auch die Peso-Gastronomie bietet mittlerweile ein paar Lichtblicke: Das in der Avenida Salvador Allende angesiedelte »Don PP« überzeugt mit umfassendem Speiseplan, hervorragendem Service und anständiger Qualität – bei den selben Preisen wie die mittelmäßige Konkurrenz. Bereits ab 35 Peso Cubano (ca. 1,30€) bekommt man dort ein Hauptgericht in üppiger Portionsgröße. Sogar Cordon Bleue für 45 Peso kann man dort bestellen: Eine der seltenen Möglichkeiten für wenig Geld an paniertes Fleisch zu kommen.

20151015_192834
Viel Eis für wenig Geld bietet die „Coppelia“

In Sachen Nachtisch sorgt der Staat weiterhin für ein grundsolides Angebot: In jeder kubanischen Provovinzhauptstadt bietet die staatliche Eisdielenkette »Coppelia« Becher für einen Peso pro Kugel an. Wie bei allem was hier gut und günstig ist übersteigt die Nachfrage das Angebot. Doch trotz der Hitze sind die Habaneros bereit eine halbe Stunde und mehr für eine dieser Köstlichkeiten anzustehen, die sich vor der teuren Eiscreme in Europa nicht verstecken muss. Wer Zeit hat, braucht nicht auf gutes Eis zu verzichten. Und wer Geld hat, für den gibt es einen Verkaufsstand in Devisen bei dem die Kugel für ca. 0,40€ ohne Wartezeit erhältlich ist.

Bis vor wenigen Jahren war es für die meisten Kubaner ungewöhnlich, Geld für ein Essen in einem Lokal auszugeben. Damals dominierten noch die einst zahlreichen staatlichen Peso-Restaurants das Feld. Sie waren jedoch dermaßen schlecht ausgestattet und langsam, dass man sich die Zwanzig Peso lieber für die eigene Küche gespart hat. Bei vielen Gerichten hieß es damals: »No hay« – gibt es nicht, während die verfügbaren Speisen nur mit einer gewissen Gleichgültigkeit genießbar waren. Heute haben (zumindest in Havanna) nur noch wenige Überbleibsel dieser Ära der Notgastronomie geöffnet, während die meisten Lokale mittlerweile an genossenschaftliche Restaurants und private Cafeterias verpachtet sind.

Obwohl Orte wie »Don PP« noch die Ausnahme bilden, ist es mittlerweile keine Neuigkeit mehr, dass sich die kubanische Gastronomie im Umbruch befindet. Fast jede Woche sprießt irgendwo eine neue Cafeteria aus dem Boden, entsteht ein neues Devisenrestaurant oder erweitert sich das Angebot von diesem oder jenem Straßenimbiss. Immer mehr Habaneros sind in der Lage, ihr Mittagessen auf der Straße einzunehmen und erwarten auch entsprechende Qualität. Die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Lokalen wächst und mit ihr verbessert sich langsam auch das Angebot. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis sich vernünftige Gerichte zu erschwinglichen Preisen in Kuba durchsetzen werden. Bis dahin heißt es noch ein wenig: Kreativ sein und essen, um zu überleben.

Teilen:

10 Gedanken zu “Essen, um zu überleben

  1. Wir haben auf Kuba immer gut gegessen. Die Besitzer der Casas meinten aber auch, dass die Beschaffung von allem, dazu zählen auch Lebensmittel, einen großen Teil ihrer Zeit in Anspruch nimmt. Bei uns gab es immer frischen Fisch, viel Gemüse und Beilagen wie Kartoffeln, Maniok und Kochbananen. Ein Casa Besitzer meinte, wenn es mal Limetten gibt, kaufe er gleich säckeweise davon.

    In Havanna waren im Castropol am Malécon essen, da gabs leckere Steinofenpizzen – in sehr guter Qualität, das ist ein gelbes recht neues Haus, falls du mal Lust auf eine gute Pizza hast. 😉
    Und wenn ich an die kalte Schokolade aus dem Schokoladenmuseum denke, will ich sofort wieder hin, für ca 1 Euro bekommt man eine leckere heiße oder kalte Trinkschokolade. Und die Pralinen sind da auch voll lecker.

    Wenn ich mich aber auf Kuba hätte selbst versorgen müssen, hätte ich auch große Probleme gehabt, ich war in 2 Kaufhallen und das Sortiment war sehr einseitig, zT gab es nicht mal Kühltheken.

    Grüße Myriam

  2. Wenn man auf Kuba sich selbst versorgen muss, kauft man die Lebensmittel, wie in den meisten Entwicklungsländern nicht im Supermarkt, sondern im agromercado.

    Fertiglebensmittel sind zweifelhafte Errungenschaften hocharbeitsteiliger Gesellschaften, wo die Entfremdung eben auch die reproduktive Arbeit betrifft. So werden eben Spaggetti und Tomatensauce heiß gemacht, statt Essen zuzubereiten.

    In den Läden kann man sich vorallem Rohzutaten wie Öl, Essig, Gewürze, Butter, Milch (gefriergetrocknet), etc. kaufen. Alles andere findet sich wie gesagt in Agrarmärkten und Bodegas.

    Die die Beschaffung von Lebensmitteln und die Zubereitung von Essen einen großen Teil der Lebenszeit kostet ist weltweit Normalzustand, außer eben in den Industrienationen des Nordens.

    Zum Thema Sauce: die meisten Kubaner, die ich kenne bevorzugen „trockenes“ Essen. Wenn man ihnen zum Beispiel einen Teller einer deutschen Kantine hinstellen würde – mit heller oder brauner Sauce – würden sie die Nase rümpfen und dies als sancocho bezeichnen, womit sie Schweinefutter meinen.

    Außerhaus billig zu essen, ist auch in Deutschland ein Qualitätsproblem. Kantinen-Sancocho, Burgerbude, Dönerbude, Bratwurst- oder Frittenbude?

    Nein, lieber Marcel, deine Einschätzung der kubanischen Esskultur greift meiner Ansicht nach zu kurz. Mit nichten ist es ein Akt der Überlebenssicherung. Socio, cuando vuelvo a la Habana te invito a cocinar en algúna ocasión.

    Saludos, Michael

  3. Hallo 🙂
    Bzgl. des Brotes:
    In der Infanta Ecke Zapata (vllt noch etwas weiter Richtung Malecón) gibt es einen ganz tollen Bäcker, der für kubanische Verhältnisse zwar auch etwas teurer ist, aber unglaublich tolle Sachen bäckt (unter anderem auch dunkles Brot). Am Anfang bekommst Du meist eine kleine Einführung in sein Bäckerhandwerk mit allerlei Kostproben. Der Laden hat mir so manchen Tag versüßt. 😉

  4. Der Schlüsselsatz des Artikels ist doch eindeutig: „Pesto habe ich bisher noch nirgends gefunden…“. Wer sein gesamtes Grundstudium als Pesto-Junkie durchlebt, braucht sich nicht wundern, wenn er hinterher an Entzugserscheinungen leidet. Aber glaub mir, es wird dir nicht schaden. Sei ein Mann, hör auf zu jammern und iss deine Bohnen.

  5. Man kann das alles dem Paternalismus zuschieben, aber eben auch dem Arbeitsgesetz. SIe müssen ja nicht besser arbeiten. Es ist eben auch sehr peinlich, wenn Kuba Hochtechnologie herstellen kann, aber bei solch banalen Sachverhalten völlig versagt.
    War in der DDR auch eher typisch.

  6. So geht´s eben wenn man in einer Diktatur leben muss muss. Hauptsache die Nomenklatura bekommt gutes Futter… Tipp: Im Golf Club Habana kann man sehr gut essen, ebenso im Castropol. Dort trifft man auch gerne die Bonzen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert