In den letzten Monaten haben sich die Ereignisse in Havanna förmlich überschlagen. Die alljährliche Buchmesse, eine substantielle Lockerung der Blockade, der historische Obama-Besuch, das nicht weniger historische Stones-Konzert und die ersten Kartoffeln des Jahres – alles innerhalb der letzten 8 Wochen. Einige persönliche Reflexionen aus der kubanischen Hauptstadt.
Buchmesse in Havanna
Vielleicht ist es gut chronologisch vorzugehen und mit einem kurzen Überblick über die Buchmesse anzufangen, die Mitte Februar stattfand. Seit nun 25 Jahren werden im Rahmen der Feria del Libro auf Havannas alter Hafenfestung zahlreiche Neuerscheinungen des internationalen und kubanischen Buchmarkts vorgestellt. Für Ausländer ist dies eine gute Gelegenheit, kubanische Literatur zu günstigen Preisen zu erwerben. Viele Bücher erscheinen hier nämlich nur in geringer Auflage (einige tausend bis zehntausend Exemplare) und sind aufgrund der stark subventionierten Preise schnell vergriffen. Auf der Messe gab es jedoch reichlich und so deckte ich mich ausgiebig mit Kalendern (á 10 Pesos), Postern und den Neuerscheinungen der kubanischen Wissenschaftsakademien ein.
Trotz der geringen Auflagen wird hierzulande nicht an der Qualität gespart. Einige neue Bücher erscheinen in Farbe, die Fotos öfter auch in Hochglanz. Pro Buch werden selten mehr als 30 Pesos fällig (weniger als 1,50 €). Trotz meiner Begeisterung fiel mir dabei auf, dass auch viel Ramsch feilgeboten wird. Ein großer Teil des Ausstellungsgeländes entfiel auf mir unbekannte lateinamerikanische Verlage, die hauptsächlich Fußballposter, Comiczeitschriften mit Spielzeugbeilage sowie pseudowissenschaftliche Lebensratgeber verkauften. Hier bestand dann auch der größte Andrang durch das einheimische Publikum. Man erzählte mir, dass dies eine neuere Entwicklung sei.
Silvio Rodríguez im barrio
Ende Februar folgte einer der kulturellen Höhepunkte meines bisherigen Kubaaufenthalts. Durch Mundpropaganda bekam ich die einmalige Gelegenheit den kubanischen Altmeister Silvio Rodríguez live zu erleben. Es ist schwierig die Bedeutung dieses Sängers zu ermessen wenn man nicht sein Publikum gesehen hat. Vielleicht lässt es sich so ausdrücken: Wäre die kubanische Revolution ein Film, so würde die Filmmusik von Silvio stammen. Er, der Mitgründer der Nueva Trova, der großen post-1959 Liedermacherbewegung, hat sich mit seinen poetischen Texten in den Herzen der Kubaner verewigt. Eine lebende Legende, die Generationen verbindet und die genau wie Fidel Castro fast immer nur mit dem Vornamen genannt wird.
Im Rahmen der Conciertos de barrio spielt Silvio heute vor allem in ärmeren Vierteln der kubanischen Hauptstadt. Ohne große Ankündigung verbreitet sich die Nachricht von seinen Auftritten wenige Tage vorher von Mund zu Mund, so dass hauptsächlich die Anwohner der Straße das Publikum stellen. In meinem Fall waren dies nicht mehr als 200 Personen des Stadtteils Cerro, etwa drei Blöcke südlich des Einkaufszentrums Carlos Tercero. Der alte Mann war mit jungen Künstlern angereist, die ihn auf dem Klavier und dem Schlagzeug begleiteten. Mit seiner Mütze erinnert er mich immer an einen Fischer oder einen Seemann, obschon seine sanfte Stimme nicht in dieses Bild passen mag.
Die Leute des Viertels warteten gespannt auf das erste Lied. Von der greisen Rentnerin bis hin zum fünfjährigen Jungen waren ganze Familienverbände vor der Bühne versammelt.
Der kleine abgesperrte Bereich davor war für die Kinder sowie die wenigen eingeladenen Gäste reserviert. Und dann wurde gesungen, nicht nur von Silvio, sondern von der ganzen Straße. Mir kam es vor, als ob fast jeder der Anwesenden seine Lieder auswendig konnte. „Silvio muss man erst lesen, bevor man ihn hören kann“, dachte ich mir, da ich nur Teile der metaphernreichen Texte verstand. „Wenn du ihn nicht verstehst, warum bist du dann überhaupt hier?“, scherzte ein Kubaner neben mir. „Die Poesie ist der schwierigste Teil jeder Sprache und die spanische Sprache ist unglaublich wortreich“, fügte er tröstend hinzu.
Wenig später erschien vor der Bühne ein Mann, der sich angeregt mit einem anderen mir bekannten Gesicht unterhielt. Beide waren unauffällig gekleidet und standen mitten unter den Nachbarn, die die Bühne umringten. Doch auf einmal begannen die Menschen über einen der beiden Männer zu reden, ohne jedoch das Konzert zu stören oder die Musik zu vergessen. Bücher wurden nach vorne gegeben, Zettel und Stifte. Es stellte sich heraus, dass Antonio Guerrero von den Cuban Five gekommen war. Ruhig, entspannt, fast wie nebenbei begann er die ihm zugereichten Gegenstände zu signieren. Kinder spielten Postbote und brachten die Autogramme zurück ins Publikum. Antonios Gesprächspartner entpuppte sich als Abel Prieto, ehemaliger Kulturminister und heute Berater Raúl Castros. Silvio sang ein Lied nach dem anderen. Das Publikum, sichtlich bewegt von der Szene, sang laut mit. Alle waren sie gekommen, vom „Held der Republik“ über den Säugling bis hin zur gebrechlichen Urgroßmutter, vereint von den Klängen der lebenden Legende.
Obama besucht Kuba
Kurz nachdem Barack Obama zu seinem historischen Staatsbesuch in Havanna gelandet war, begann es in Strömen zu regnen. „Kaltfront“, nennt man das hier. So als hätte sich die Insel gegen das Eintreffen des Gastes gewehrt. Tatsächlich war die Stimmung jedoch erstaunlich unaufgeregt. Große Veränderungen erwarteten die wenigsten, zumindest nicht auf kurze Sicht. Auch wenn Raúl Castro sich nicht persönlich zum Flughafen bemühte, wurde der Staatsgast mit Respekt empfangen.
Ich versuchte bei seinem Rundgang durch die Altstadt dabei zu sein, doch der Plaza de la Catedral war schon von weitem abgesperrt. Ohne Presseausweis keine Chance. Dennoch konnte ich einen Blick auf die heranrollende Delegation aus schwarzen Staatskarossen erhaschen, die teils extra für den Besuch eingeflogen wurden. So auch die Präsidentenlimousine, auch „The Beast“ genannt.
Im großen und ganzen verlief alles auf erwartbaren Bahnen. Standpunkte, Höflichkeiten und Kontroversen wurden in der aus den diplomatischen Vorgesprächen bereits bekannten Art ausgetauscht. Obama bemühte sich sichtlich, den richtigen Ton zu treffen. Seine Worte kamen gut an, er verwies auf Gemeinsamkeiten in der Geschichte beider Länder (z.B. die Sklaverei) und sprach Sätze wie: „Das Schicksal Kubas wird nur von den Kubanern bestimmt, von niemandem sonst.“ Dagegen kann niemand auf Kuba etwas einwenden.
Raúl Castro machte auf der gemeinsamen Pressekonferenz eine blasse Figur. Der rhetorisch geschulte Obama ging souverän mit den Fragen um, während Raúl anzumerken war, dass das Format einer live-Pressekonferenz mit ausländischen Reportern für ihn unbekanntes Terrain war. Das zeigte sich schon bei der Technik: Obama agierte ohne Schwierigkeiten mit Knopf im Ohr, während Raúl oftmals an seinen altbackenen Kopfhörern hantierte um die Fragen zu verstehen. Als ihm eine Frage auf spanisch gestellt wurde, setzte er die Kopfhörer nicht ab, weshalb der kubanische Journalist seine Frage noch einmal wiederholen musste.
Auf politische Gefangene angesprochen antwortete Raúl: „Gib mir eine Liste und sie sind noch vor Sonnenuntergang frei.“ Dieser Satz blieb bei vielen Kubanern hängen, die sich sicherlich etwas mehr jener Fidel’sche Rhetorik gewünscht hätten. Am Ende dann versuchte Obama den kubanischen Präsidenten zu umarmen, dieser wehrte jedoch ab und hielt stattdessen Obamas Arm nach oben, was sich zu einer ungewollt komischen Pose entwickelte. Nach über 50 Jahren Feindschaft verläuft eine solche Annäherung naturgemäß nicht ohne Rückschläge und Schwierigkeiten. Dennoch kam es zu keinem diplomatischen Eklat und der Besuch ging gut über die Bühne. Fertig eingetütet ist er nun bereit für die Geschichtsbücher.
Die Rolling Stones in Kuba
Wenige Tage nach dem Obama-Besuch gaben sich die „Rolling Stones“ in Havanna die Ehre. Zum Abschluss ihrer Lateinamerika-Tour versprachen die Briten bereits im Vorfeld, den Kubanern ihre gesamte Bühnentechnik im Wert ungefähr 20 Mio. US-Dollar zu überlassen. Das Konzert selbst war kostenlos, die sonst fällige Gage von bis zu 8 Millionen US-Dollar nahmen die Stones auf ihre Kappe.
Bereits in den frühen Morgenstunden fanden sich die ersten Fans auf dem Gelände der Ciudad Deportiva, Havannas großes Sport- und Veranstaltungsgelände, ein. Einige waren bis aus Europa hier hergekommen, da es angesichts der bei uns üblichen Ticketpreise für manche sinnvoller ist, ein kostenloses Stones-Konzert gleich mit der Kubareise zu kombinieren. Es wurden über eine halbe Millionen Menschen gezählt, wobei das Gelände mehr als genug Platz für alle bot.
Die Stimmung war super und trotz der ausdrücklichen bitte des Papstes fand das Konzert am Karfreitag statt. Auch Sympathy for the Devil, eines meiner Lieblingslieder, wurde gespielt. Obwohl Alkohol auf dem Gelände verboten war schafften nicht nur wir es, ausreichende Mengen Planchao (0,3l Rum im Tetrapack) auf den Platz zu schmuggeln. Als gegen 23 Uhr das letzte Lied zu Ende ging kollabierte der Verkehr erwartungsgemäß im Umkreis von gut einem Kilometer um das Gelände.
Was wird Geschichte?
Etwa zeitgleich mit Obama und den Stones kam auch die Kartoffel wieder nach Havanna. Monatelang nur auf dem Schwarzmarkt für 3 CUC pro Libra (250 g.) erhältlich, konnte man plötzlich dutzende LKWs mit prall gefüllten Kartoffelsäcken in die Hauptstadt eintreffen sehen. Kartoffeln sind nun wieder für einen Peso Cubano pro Libra zu erstehen, was die begehrte Knollenfrucht für alle erschwinglich macht.
Trotz aller Geschichtlichkeit der letzten Wochen waren die ersten Kartoffeln des Jahres für mich, wie auch für viele Kubaner, nicht unbedeutend. Tagelang bildeten sie das Gesprächsthema auf der Straße. Angesichts der drögen Reis- und Bohnendominanz sind wir froh, wieder häufiger herzhafte Kartoffelstücke auf unseren Tellern anzutreffen. Die allgemeine Situation auf den Bauernmärkten hat sich wieder entspannt, die Ernährungslage ist trotz anhaltendem Touristenboom einfacher geworden. Dafür ziehen die Privatvermieter nun ihren Nutzen aus der Knappheit an Touristenunterkünften. Die Preise steigen und fast niemand in Havanna will mehr einen Studenten für unter 300 CUC pro Monat aufnehmen.
Der erste Besuch eines US-Präsidenten seit 1959 hat Erwartungen geweckt, die Lockerung der Blockade dürfte die nicht enden wollende Hochsaison im Tourismus weiter beflügeln. Dennoch überwiegt bei den Kubanern eine abwartende Haltung, der Großteil der einseitigen Wirtschaftssanktionen ist noch immer in Kraft und die bisherigen Lockerungen haben noch kaum Einfluss auf den Alltag. Barack Obama und die Rolling Stones sind gekommen um Geschichte zu schreiben. Nach wenigen Tagen sind sie wieder gegangen. Was bleibt sind haufenweise günstige Kartoffeln. Doch davon wird man in keinem Geschichtsbuch lesen.
Hat dies auf Netzwerk Kuba Österreich rebloggt.
1.) Der Preis von 30 Pesos kann nur auf der Buchmesse sein,
außerhalb der Messe kann man Bücher nur mehr in CuC bezahlen, und die Armen
können sich ohnehin kein Buch leisten.
2.) Raul Castro hat sehr wohl eine gute Figur gemacht, unsicher war eher der Imperialista Yanki.
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Zu Deinen Anmerkungen
1.) Jein. In den Antiquariaten zahlt man sehr häufig teure Preise für eigentlich vergriffene Bücher. Hier gelten die Gesetze von Angebot und Nachfrage. In den staatlichen Buchhandlungen habe ich jedoch auch vor und nach der Buchmesse Literatur zu Preisen um die 20-30 Pesos erstehen können.
2.) Das sehe ich anders. Als Raúl Castro nach drei (!) Fragen beispielsweise gebeten hatte, „nicht so viele Fragen“ an ihn zu richten, war ich schon etwas irritiert. Als er nach einer Vision für die Zukunft und politische Gefangene gefragt wurde, hat ihm Obama eine goldene Brücke gebaut indem er ihn auf den ersten Aspekt der Frage verwiesen hatte.. hier hätte man einige sehr schöne Punkte machen und eine Leitidee (die heute dringend fehlt) entwerfen können. Stattdessen gab er ein recht dröges Referat darüber ab, dass die Menschenrechte in keinem Staat der Welt vollkommen verwirklicht worden sind. Für mich klang das alles wenig souverän und aus einer defensiven Position heraus. Mit meiner Wahrnehmung bin ich auch nicht allein, viele Freunde (Kubaner wie Ausländer) von mir die die Pressekonferenz vollständig gesehen haben, stimmen mir zu.
„aus der Ferne“ kommentiert.
Die Vertreter des „Westen“ können meist besser „reden“ aber dafür sehr wenig sagen.
Also lieber Raul Castro, bleib locker.
Dein Gast hat nur so getan.
Der ist der Vertreter seines Systems.
Der will euch nichts gutes.
Seht zu, das ihr euer Land weiter aufbaut.
Die da im Norden braucht ihr dazu nicht.
Ihr seit unsere Hoffnung!
MsKg Marco „Ossi“ Oswald
Ich mag deine Beiträge und freue mich jedes Mal von dir zu lesen.
Ich kann mir vorstellen, dass es verdammt schwer ist, wenn einem die ganze Welt zuschaut.
Auf der einen Seite der vielleicht mächtigste Präsident, der zwar auch nicht viel bewirken kann ohne es vorher mit seinen Geldgebern (den Regierenden in den USA) abgesprochen zu haben, und auf der anderen Seite der Mann, der sich nicht den geringsten Fehler leisten darf, sonst ist das fast letzte Stück Land, welches noch nicht vollständig vom Finanzkapital verschlungen ist, auch noch weg.
Ich kann nur hoffen, das viele aus den Fehlern der deutschen Wiedervereinigung und der dazu geführten Ereignisse, gelernt haben, und sich Ähnliches dort nicht wiederholt.