27. September 2024

Neue Zahlen: Kubas Deindustrialisierung setzt sich fort

Kubas Wirtschaft steckt seit mittlerweile vier Jahren in der Dauerkrise. Vor kurzem hat das nationale Statistikbüro (ONE) neue Zahlen für das Jahr 2023 veröffentlicht, die zeigen, dass die empfindlichen Einbrüche in Schlüsselindikatoren auch im vergangenen Jahr nicht gestoppt werden konnten. Was genau geht aus den Daten hervor?

Ein halbes Jahrzehnt Krise

Kubas Wirtschaft ist vergangenes Jahr um 1,9 Prozent geschrumpft – soweit so bekannt, denn die Zahl wurde bereits auf den vergangenen Sitzungen der Nationalversammlung bekannt gegeben. Das Statistische Jahrbuch schlüsselt nun aber etwas genauer auf, wie sich die einzelnen Sektoren der Wirtschaft entwickelt haben. Soviel vorweg: in ganz vielen Bereichen sieht es derzeit gar nicht gut aus.

So schrumpften die Exporte um 6,6 Prozent und die Importe um 2,1 Prozent, und damit das fünfte Jahr in Folge für beide Bereiche. Positiv hervorzuheben ist, dass das Haushaltsdefizit im vergangenen Jahr gegenüber 2022 leicht auf 11,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zurückging. Dafür mussten jedoch Einsparungen vorgenommen werden, die an die Substanz gingen.

Die stärksten Einbrüche gab es im Zuckersektor, der vergangenes Jahr um 39 Prozent geschrumpft ist. Nachdem er in den beiden Vorjahren jeweils um gut ein Drittel zurückgegangen war, spielt die einst prestigeträchtige Industrie heute praktisch keine Rolle mehr in den Bilanzen der kubanischen Wirtschaft. Den zweitstärksten Einbruch gab es im Bildungswesen mit einem Minus von 21,5 Prozent, gefolgt von Fischerei (-18,3 Prozent) und Landwirtschaft (-14 Prozent). Deutlich zulegen konnten lediglich Hotels und Gastronomie (+13,1 Prozent) sowie der Transport- und Kommunikationssektor (+9,5 Prozent). Das Baugewerbe verzeichnete mit einem Plus von 3,8 Prozent einen leichten Aufschwung.

Aufschlussreich ist wie immer der Blick auf die Industrieproduktion. Hier zeichnet sich ein düsteres Bild ab: Der kontinuierliche Einbruch konnte auch im vergangenen Jahr nicht gestoppt werden. Der Index der physischen Industrieproduktion ging von 46 auf 38,6 Prozent des Wertes von 1989 zurück. Er bewegt sich damit auf dem Stand des Jahres 2005.

Kubas Industrie in Zahlen

Die folgende Tabelle zeigt eine Auswahl an verschiedenen Produkten der kubanischen Industrie zwischen 2019 und 2023. Die Produktionszahlen sind, wenn nicht anders angegeben, in tausend metrischen Tonnen. Grün hervorgehoben sind Produkte, bei denen es im vergangenen Jahr einen Zuwachs gab:

Produkt20192020202120222023Delta seit 2019
Kaffee19,218,417,116,610,6-44,8%
Brot454,6469,5446,5408,5326,3-28,2%
Speiseöl20,822,117,810,74,3-89,3%
Wurst und Filet vom Schwein134,393,441,415,213,3-90,1%
Käse10,010,07,44,63,2-68%
Joghurt140,4182,6177,710350,2-64,3%
Butter (t)492,4482,6254,2177153,6-68,8%
Bier (tausend Hektoliter)2586,914961095,6810,81245,7-51,85%
Zigaretten13,31512,613,414,2+6,8%
Limonaden (tausend Hektoliter)3734,63334,52616,821451914-48,8%
Druckerzeugnisse (Mio. Einheiten)2030,1787,2475,3622434,8-78,6%
Komplettdüngemittel34,41,87,90,71,5-95,6%
Handseife16,930,829,815,416,6-1,8%
Kleidung (Mio. Einheiten)8,85,95,45,85,7-35,2%
Zement1334,61015,1817,1680520,2-61%
Tabelle 1: Ausgewählte Produkte der kubanischen Industrie, 2019 bis 2023. Wenn nicht anders angegeben: in 1.000 Tonnen (Quelle: ONEI 2023, 11)

Zwar betrifft die Statistik „nur“ die staatliche Industrie, während die Produktion der mittlerweile gut 11.000 kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) des Privatsektors nicht erfasst wird, unterm Strich bleibt die Bilanz jedoch verheerend. Insbesondere der Niedergang der staatlichen Lebensmittelindustrie, deren Produkte häufig Grundlage für subventionierte Angebote sind, hat die sozioökonomische Krise weiter verschärft. Der Ausgleich durch Importe kostet den Staat hohe Summen, weshalb die Ausfälle nur bedingt durch Importe ausgeglichen werden können.

Ohne die Einfuhren durch den Privatsektor, der mittlerweile ein konstantes Lebensmittelangebot zu Marktpreisen garantiert, wäre die Situation sicherlich weitaus dramatischer. Ebenfalls positiv ausgewirkt hat sich die Eröffnung der neuen Parranda-Bierfabrik in der Sonderwirtschaftszone von Mariel sowie Investitionen in eine Fabrik für Hygieneprodukte mit ausländischer Beteiligung.

Auch vom Transportsektor gibt es keine Entwarnung: Die Zahl der beförderten Passagiere ging letztes Jahr abermals leicht um 0,4 Prozent zurück. Die größten Einbrüche gab es beim staatlichen Bussystem, während Taxis leicht zulegen konnten. Die schwierige Lage des Sektors, der seit Jahren mit minimaler Ersatzteilversorgung auskommen muss, macht der Indikator zur Bereitschaft des Fuhrparks deutlich: 2019 waren noch knapp 72 Prozent aller Busse einsatzbereit, bis 2022 sank dieser Wert auf 45,6 Prozent und 2023 schließlich auf 38,8 Prozent ab.

Auch der Wohnungsbau erlebte 2023 einen Einbruch, von 20.232 fertiggestellten Einheiten im Jahr 2022 auf 16.065. Insgesamt konnten die Investitionen und Bauvorhaben zwar wertmäßig um 16 Prozent zulegen, allerdings muss hier auch die Inflation von gut 30 Prozent berücksichtigt werden.

Eine wichtige Ursache für den drastischen Niedergang der Industrieleistung ist der akute Mangel an Elektrizität und Treibstoff. So ging die Energieerzeugung von 20.705 Gigawattstunden im Jahr 2019 auf 15.331 im Jahr 2023 zurück (-26 Prozent), was nur teilweise durch die Anmietung mobiler Kraftwerksschiffe ausgeglichen werden konnte. Erstmals seit Beginn der Krise konnte jedoch 2023 der Gesamtstromverbrauch wieder leicht anziehen. Er stieg von 18.322 Gigawattstunden 2022 auf 19.825 Gigawattstunden um 8 Prozent an, bleibt damit allerdings noch immer rund sechs Prozent unter dem Wert von 2019 (21.155 Gigawattstunden).

Reform der Staatsunternehmen könnte helfen – nur wann?

Aus den Zahlen wird deutlich: Kuba durchlebt einen schmerzhaften Prozess der Deindustrialisierung. Dessen Anfang markierten neue US-Sanktionen unter Trump – die Covid-Pandemie, der Einbruch des Tourismus, die Zunahme der Auswanderung und die schleppenden Reformen bei gleichzeitig keiner nennenswerten Verbesserung der externen Faktoren und der Energiesituation sorgten für die Verstetigung der Krise, die mittlerweile fünf Jahre andauert.

Eine „magische Lösung“ für eine Trendumkehr ist indes nicht in Sicht. Auch dieses Jahr dürften die Delegierten der Nationalversammlung im Dezember wieder eine alarmierende Bilanz ziehen. Während sich an den externen Faktoren wenig ändern lässt, erscheint die angekündigte Reform der Staatsunternehmen angesichts der Einbrüche indes dringender denn je. Mittels Dezentralisierung und betriebswirtschaftlicher Eigenständigkeit plant Kuba, die staatliche Industrie wieder fit zu machen. Das Vorhaben erfordert jedoch große Anstrengungen, sowohl materiell als auch in Bezug auf die Kultur der Wirtschaftssteuerung, die noch immer stark administrativ geprägt ist.

Ursprünglich sollte der Gesetzentwurf für die Reform bereits vergangenes Jahr beschlossen werden, wurde jedoch immer wieder verschoben. Ob er es im Dezember auf die Tagesordnung schafft, scheint derzeit offen.

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