Um den ehemaligen kubanischen Präsidenten und „Führer der kubanischen Revolution“, Fidel Castro, ist es in den letzten Monaten ruhig geworden. Indes feierte Bruder Raúl vergangenen Dienstag seinen 83. Geburtstag – im engsten Kreis, ohne Notiz in den Medien. Fidels letzter öffentlicher Auftritt war der Urnengang bei den Parlamentswahlen im Sommer 2013, während des CELAC-Gipfels im Januar traf er sich mit zahlreichen Staatsoberhäuptern der Region. Danach blieb es ruhig um den 87-jährigen.
Kubas Regierung hält sich traditionell mit Informationen über den Gesundheitszustand Castros weitgehend zurück. Eine Ausnahme bildeten jedoch die Aussagen des kubanischen Vizepräsidenten Miguel Díaz-Canel: Nach dem Tod des Schriftstellers Garcia Marquez, einem engen Freund des Revolutionärs, sei Castro „bestürzt“ gewesen, arbeite jedoch mit Konzentration an seinen aktuellen Projekten. „Sein Gesundheitszustand ist sehr gut“, sagte Díaz-Canel Ende April gegenüber kubanischen Medien.
Nach dem CELAC-Gipfel traf sich Fidel noch mit dem vietnamesischen Premierminister Nguyen Tan Dung Ende März, mit dem chinesische Außenminister Wang Yi im April und mit Russlands Außenminister Sergei Lavrov im Mai. Es kann davon ausgegangen werden, dass in der Zwischenzeit auch zahlreiche informelle Treffen mit befreundeten Staatsoberhäuptern wie Nicolas Maduro stattgefunden haben. Fidel scheint seinen Einfluss gekonnt hinter den Kulissen geltend zu machen, hält sich dabei jedoch seit 2012 mit öffentlichen Äußerungen bewusst zurück. Erst kürzlich ereignete sich allerdings ein kleiner Skandal, als vergangenen Samstag bei der Trauerzeremonie für den kubanischen Sportler und Trainer Eugenio George der Blumenkranz des Commandante fehlte.
Am 3. Juni, dem Geburtstag seines Bruders, meldete sich dieser daher in der Granma zu Wort: „Mehrere Genossen wunderten sich über das Fehlen eines Kranzes von mir in Begleitung seines Sarges“, schrieb Castro in der kurzen Notiz, die auf Seite eins der Granma erschien „Ich, der ihn immer sehr bewundert habe, erfuhr von seinem Ableben erst mehrere Stunden später“, entschuldigte sich Fidel gegenüber den Kubanern, die sich in den Kommentaren zu der Nachricht oftmals enttäuscht über das Ausbleiben einer Blumenspende zeigten.
Was war also geschehen? Hat Fidel keine Informationen vom Tod Georges erhalten, oder hat er zu spät reagiert? Hat der Personenkreis versagt, der Fidel auf dem aktuellen Stand halten soll? – wir wissen es nicht. Etwas Klarheit könnte eine Aussage von Evo Morals bringen: „Fidel hatte in letzter Zeit nur noch seine Reden vorzubereiten, aber wusste nicht mehr, was vor sich geht. Das zumindest hat man mir gesagt“, erklärte das bolivianische Staatsoberhaupt im Mai gegenüber der Zeitschrift „Vanity Fair“.
Das wiederum steht im Gegensatz zur Aussage des russischen Außenministers Lavrov, der über sein Treffen mit Fidel viel über die Informiertheit des Ex-Präsidenten zu berichten wusste: „Seine Augen brennen, sie sind glühend. Er folgt praktisch allen Ereignissen auf der Welt: Den Begebenheiten auf der Krim, in der Ukraine; er wusste über die Entdeckung einer neuen Bakterie bescheid, deren korrekte Ausbreitung zur Bekämpfung der globalen Erwärmung beitragen kann“, sagte Lavrov am 18. Mai im russischen Fernsehen.
Dennoch fügte er hinzu: „Körperlich wurde er schwächer. Er ist jemand, der mehrere schwerere Eingriffe hinter sich hat und sich körperlich derzeit definitiv nicht in bester Verfassung befindet.“ Damit widerspricht Lavrov der Aussage des kubanischen Vizepräsidenten Ende April, wonach Fidels Gesundheitszustand „sehr gut“ sei. Was aber nun ist dran, an all den widersprüchlichen Behauptungen?
Zunächst einmal scheint Lavrovs Statement plausibel zu sein, Fidels Interesse an globalen Problemen konnte auch Ignacio Ramonet bei seinem letzten Treffen mit Castro im Dezember 2013 feststellen, was sich mit den Aussagen vieler weiterer Besucher in letzter Zeit deckt. Dass der körperliche Zustand des alternden Revolutionärs dabei nicht besser wird ist durchaus logisch, hier dürften Lavrovs Beobachtungen ebenfalls nicht ganz falsch sein.
Einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt jedoch die Aussage von Evo Morales, die durch die jüngsten Ereignisse bestätigt scheint. In den Gesprächen Fidels mit seinen Gästen geht es meist um Weltpolitik und globale Probleme, die aktuelle Lage in Kuba scheint keine Rolle zu spielen. Nun verursachte Castros mangelnde Informiertheit einen politischen Fehler, der zu seiner erster schriftlicher Äußerung seit Jahren führte. Die Situation lässt nur zwei Schlüsse zu: Entweder Fidel – oder sein Informationsapparat haben versagt, was beides in dieser Form noch nicht vorgekommen ist. Es scheint jedoch die These zu bestätigen, dass der Comandante en jefe mit zunehmendem Alter zumindest teilweise vom kubanischen Tagesgeschehen abgeschnitten wird, mit Sicherheit erhält er nicht mehr alle Informationen so zeitnah wie früher. Über die Ursachen dafür lässt sich jedoch keine Aussage treffen.
Nun, ein politischer Fehler ist es gerade nicht gewesen, denn Fidel ist kein aktiver Politiker mehr. Die Reaktion der Genossen auf die Fehlleistung ihres Revolutionsführers zeigt, wie schwer es den Kubanern fällt, sich von papa Fidel als Staatsoberhaupt, zu lösen. Die Leute lieben ihn, weil er ihnen die Würde zurückgegeben hat. Sie vermeiden reflexartig jeden Gedanken daran, dass Fidel alt, schwach und vergesslich wird – und dass er sterben wird. Alle Bekundungen über seinen Geistes und Gesundheitszustand sind der individuellen Wahrnehmung des Berichtenden geschuldet. Es ist anzunehmen, dass Fidel – wie jeder andere auch – mal einen guten Tag und mal einen schlechteren Tag hat.
Vollkommen richtig, wäre auch meine Einschätzung.