28. März 2024

Nie verboten, nun aber gratis und live: Die Rolling Stones in Kuba

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Die Stones auf dem Gelände der „Ciudad Deportiva“ in Havanna (Quelle: Juventud Rebelde)

Havanna. Die britische Rockband Rolling Stones hat am Freitag vor hunderttausenden Fans ihr erstes Konzert im sozialistischen Kuba gespielt. Die Show fand gerade einmal drei Tage nach dem international viel beachteten Besuch von US-Präsident Barack Obama in Havanna statt und wurde von zahlreichen Medien direkt mit dieser Visite in Verbindung gebracht. „Wir wissen, dass es in der Vergangenheit schwer war, hier in Kuba unsere Musik zu hören. Aber hier sind wir“, zitierte die deutsche Nachrichtenagentur epd Bandleader Mick Jagger: „Ich denke, die Zeiten ändern sich.“ Englischsprachige Rockmusik war auf Kuba eine zeitlang geächtet, aber nie dauerhaft verboten, wie es in zahlreichen Kommentaren und Berichten hieß.

Allerdings provozierte das Konzert der britischen Rock-Stars in Kuba an anderer Stelle diplomatische Probleme. Wie die britische Tageszeitung „Mirror“ in ihrer Onlineausgabe berichtet, hatte Papst Franziskus offenbar versucht, das Konzert am Karfreitag zu verhindern, der in der katholischen Kirche als strenger Fast- und Abstinenztag begangen wird. In einem persönlichen Brief an die Stones hatte er gebeten, wenigstens erst nach Mitternacht zu beginnen, „um den Heiligen Tag zu vermeiden“. Die Bandmitglieder seien völlig verblüfft gewesen und hätten das Ansinnen höflich zurückgewiesen. Sie hätten ihren Fans den Auftritt fest versprochen, außerdem würden an diesem Tag auf der Welt auch andere große Konzerte stattfinden, hieß es zur Begründung.

Schon Stunden vor Beginn des kostenlosen Konzerts waren Zehntausende in die Ciudad Deportiva am Rande von Havanna gekommen, wie es in kubanischen Medien hieß. Veranstalter und Polizei sprachen von bis zu 500.000 Zuschauern. In einer Videobotschaft hatten sich die Rolling Stones vorab an die Fans auf der Karibikinsel gewandt. „Wir waren schon an so vielen unglaublichen Orten, aber dieses Konzert ist historisch für uns“, hieß es darin. Mit ihrem Auftritt in Havanna beendeten sie ihre „América-Latina-Olé-Tour.“

Das Konzert der Rolling Stones in Kuba ist der vorläufige Höhepunkt der Rock-Musik-Kultur in dem sozialistischen Inselstaat. Er markiert aber nicht das Ende eines angeblichen „jahrzehntelangen Verbots“ dieser Musik in Kuba, über das zahlreiche internationale Medien berichteten. Zwar war die kubanische Rockmusik in ihrer frühen Entstehungsgeschichte durch die engen Bezüge zu den USA nach der Revolution 1959 am stärksten von den Zäsuren in der Kulturpolitik betroffen. Diese Entwicklung gipfelte im sogenannten Grauen Jahrfünft, den ersten fünf Jahren der 1970er Jahre, als sich die führenden kubanischen Kulturinstitutionen an einer repressiven kulturpolitischen Linien der Sowjetunion orientierten. Bis dahin aber gab es noch Rockmusik auf Kuba, danach wieder.

Nach der Revolution Ende der fünfziger Jahre war die kubanische Musikszene noch integraler Bestandteil von internationalen Netzwerken, vor allem zwischen Havanna und New York sowie Miami. So bestand Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre eine vitale Rock’n’Roll-Szene. Bands wie die Hot Rockers oder Los Llópis waren darauf spezialisiert, US-amerikanische Hits auf Spanisch neu einzuspielen.

Angesichts der starken Ablehnung angloamerikanische Kultureinflüsse durch die offizielle Kulturpolitik lösten sich viele Bands im Laufe der sechziger Jahre allerdings auf. Neben Vorwürfen der „ideologischen Abweichung“ gegen Anhänger wurde die Musik schlichtweg nicht mehr in den staatlichen Medien gespielt. Eine Ausnahme stellt indes die 1961 gegründete Combo Los Zafiros dar, die mit einer Art kubanischen Doo Wop anhaltende Erfolge feierte.

Nach der repressiven kulturpolitischen Phase der siebziger Jahre kam es gegen Ende jenes Jahrzehnts und im Verlauf der achtziger Jahre wieder zu einem Erstarken der Rockbewegung. Eine der ersten kubanischen Rock-Gruppen, Síntesis, begann mit einer Mischung aus Jazz- und Rockelementen unter Verwendung von Yoruba-Gesängen. Die Band Gens nahm zunächst Rock-Versionen von Werken des Liedermachers Silvio Rodríguez auf. Auf Initiative von Vertretern des Genres wurde 1987 in der Casa de Cultura des Stadtteils Vedado von Havanna mit dem Patio de María ein fester Veranstaltungsort und Treffpunkt der Rockszene eingerichtet, der bis 2003 bestand. Parallel dazu nahm sich – wie später auch im Fall des Hip-Hop – die Kulturorganisation AHS des Genres an. Neben einem jährlichen Festival in Havanna werden seither entsprechende Events auch in anderen Landesteilen veranstaltet. Anders als der Hip-Hop ist der kubanische Rock damit nicht auf die Hauptstadt beschränkt, sondern findet sich in allen Teilen des Landes. Dies äußert sich auch in rund einem Dutzend regelmäßig erscheinender Fanzines, also Fan-Magazinen, die auf eigene Initiative und mit eigenen Mitteln herausgegeben werden.

Es gibt auch Bands, die mit ihrer Musik gegen das politische System protestieren. Die Punkrock-Gruppe Porno para Ricardo nutzt den Konflikt mit den sozialistischen Institutionen des Landes als Teil der Eigeninszenierung. Dazu gehören Titel wie Joder a un comunista oder Soy porno, soy popular – eine Anspielung auf den Werbespruch der Zigarettenmarke Popular (Soy cubano, soy popular). Dieser Haltung entsprechend sagte Bandleader Gorki Águila gegenüber dem antikubanischen US-Propagandaportal Martí Noticias, die Stones würden mit ihrem Konzert „das Regime stärken“.

Die Mehrheit der Kubanerinnen und Kubaner teilten diese Kritik aber offenbar nicht. Der Schriftsteller Leonardo Padura sagte, seine Generation habe die Stones und die Beatles im Verborgenen gehört. Nun seien hunderttausende bei dem Konzert, in dessen Publikum auch US-Schauspieler Richard Gere und Unterhändler der kolumbianischen Guerillaorganisation Farc gesichtet wurden, die in Havanna seit 2012 mit der Regierung von Kolumbien über einen Friedensschluss verhandeln. Das Zentralorgan der Kommunistischen Partei Kubas, Granma, titelte mehrdeutig: „Cuba – una stone“. Auf Deutsch etwa: Kuba, ein Stein.

von Harald Neuber und Eva Haule / Amerika21

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