19. März 2024

Havanna öffnet Großmarkt für Privatsektor, neues Modell für staatliche Gastronomie

Kubas Außenhandelsministerium will Privatbetriebe bei der Vermarktung neuer Exportprodukte unterstützen (Quelle: MINCEX)

Seit Donnerstag hat der Großmarkt „Mercabal“ in Havanna für sämtliche privaten Gastronomiebetriebe der kubanischen Hauptstadt geöffnet, bis September sollen die übrigen Provinzen nachziehen. Tags zuvor kündigte Kubas Binnenhandelsministerin Betsy Díaz Velázquez die Restrukturierung von mehr als 8.000 staatlichen Gastronomiebetrieben an. Diese sollen künftig dezentral verwaltet werden und auf Basis von Angebot und Nachfrage arbeiten.

Nachdem Kubas Präsident vergangenen Donnerstag neue Wirtschaftsmaßnahmen zur Bekämpfung der ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie angekündigt hat, werden inzwischen fast täglich weitere Details zu den Vorhaben bekannt gegeben. Im Rahmen des neuen Wirtschaftsmodells sollen gleiche Bedingungen für alle Produzenten geschaffen werden. Private Betriebe erhalten erstmals Zugang zum Groß- und Außenhandel und können sich zur Bildung neuer Produktionsketten mit dem Staatssektor und ausländischen Investitionen zusammentun.

Bis September: Großmärkte in allen Provinzen

Als erster Schritt hat hierzu der im März 2018 eingeweihte Großmarkt „Mercabal“ sein Angebot für privatwirtschaftliche Akteure Havannas erweitert. Bisher durften nur Produktions- und Dienstleistungskooperativen (CNoAs) sowie ausgewählte Restaurants dort einkaufen. Seit Donnerstag können alle privaten Bars, Restaurants, Caféterias und Bäcker der Hauptstadt ihre Waren über „Mercabal“ beziehen. In naher Zukunft sollen auch die übrigen Privatbetriebe Zugang erhalten. Die Verkäufe erfolgen nun ausschließlich über eine Girokarte.

Der Großmarkt „Mercabal“ in Havanna (Quelle: Granma)

Im nächsten Schritt sollen in den Stadtteilen San Miguel de Padrón und Playa zwei weitere Großmärkte hinzukommen, die in Devisenwährung operieren werden. Bis September will die staatliche Handelskette CIMEX 15 neue Großmärkte in allen Provinzen des Landes – mit Ausnahme des Sonderverwaltungsgebiets der Insel der Jugend – eröffnen. Als zusätzlichen Anreiz zur Förderung des Recyclings und der Verkäufe bietet „Mercabal“ seinen gewerblichen Kunden an, bei der Abgabe von zwei leeren Bierflaschen eine neue (volle) zu erhalten. Mit der Eröffnung Großmärkte verspricht sich Kubas Regierung die Zurückdrängung des informellen Sektors und eine Entlastung des Einzelhandels, welcher seit dieser Woche ebenfalls über ein Angebot in Fremdwährung verfügt.
➔  Liste der Großmärkte, die bis zum 1. September eröffnen (PDF)

Entwicklung neuer Exportprodukte im Privatsektor

Außenhandelsminister Rodrigo Malmierca hat am Mittwoch weitere Details über die Import / Export-Möglichkeiten für den Privatsektor bekannt gegeben. Demnach werden sämtliche Privatbetriebe so schnell wie möglich mit einem eigenen Konto ausgestattet, welches Zugangsvoraussetzung für den Außenhandel und den Großmarkt ist. Damit soll der Korruption und dem Schwarzmarkt das Wasser abgegraben werden. Die Zusatzkosten für Importe werden laut dem Minister so gering wie möglich ausfallen. „Das Ziel der Regierung ist es, den Import und Export für den Privatsektor zu vereinfachen. Es geht nicht darum, dass die beteiligten Staatsfirmen dadurch rentabler werden“, so Malmierca.

Inzwischen wurde eine Liste der 36 staatlichen Unternehmen veröffentlicht, welche als Außenhandelspartner für den Privatsektor fungieren (siehe Grafik). Darunter befinden sich Staatsfirmen aus diversen Branchen, die von der Landwirtschaft über Schwermaschinen bis hin zum staatlichen Telekommunikationsdienstleister „ETECSA“ reichen. Um mehr Transparenz in den Prozess zu bringen, hat Kubas Außenhandelsministerium eine Karte mit 1.026 möglichen Exportgütern nach Provinzen aufgeschlüsselt veröffentlicht. Die unmittelbar möglichen Exportpotentiale des Privatsektors werden vor allem in den Bereichen Lebensmittel, Kunsthandwerk, Baumaterialien, Ziervögel und Plastikprodukte gesehen. Mehr als 380 dieser Betriebe seien bereits jetzt in der Lage, zum Außenhandel beizutragen. Der Staat werde die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit privater Exporteure durch Kredite und Beratung gezielt voranbringen, versprach Malmierca.

Weitgehende Dezentralisierung der staatlichen Gastronomie

Wie Binnenhandelsministerin Betsy Díaz Velázquez bekannt gab, habe man „die Anreize für die Belegschaft und die moralisch-ethischen Verhaltensweisen der Chefs“ in der staatlichen Gastronomie genau unter die Lupe genommen. In den vergangenen Jahren wurden viele Fälle von Diebstahl und Korruption in der staatlichen Gastronomie aufgedeckt, der Zweig gilt als chronisch verlustbehaftet. In Zukunft sollen deshalb „Effizienz und Konkurrenz“ als neue Leitprinzipien unter den mehr als 8.000 staatlichen Gastronomiebetrieben Einzug halten. Diese sollen sich demnächst selbst verwalten (autogestión) und eigenständig über Größe und Besetzung der Belegschaft, Preise und Angebot bestimmen dürfen. Gleichzeitig müssen sie sich über den Markt mit Inputgütern versorgen und Steuern zahlen, wobei die Immobilie in staatlichem Besitz bleibt. Damit werde ein „radikaler Wandel in der Funktionsweise der gastronomischen Einrichtungen eingeläutet“, erklärte Díaz.

Das neue Manangementsystem für die staatliche Gastronomie erinnert teilweise an die „Arbeiterselbstverwaltung“ im ehemaligen Jugoslawien. Es soll zunächst auf experimenteller Basis in 105 Betrieben umgesetzt werden. Bis zum Ende des Jahres wird Bilanz gezogen und entschieden, welche Einrichtungen das neue Modell übernehmen und welche an Privatbetriebe verpachtet werden. Darüber hinaus sollen im Verlauf des Jahres auch in anderen Sektoren staatliche Kleinbetriebe und Immobilien an Genossenschaften und andere private Franchisenehmer verpachtet werden. Im Rahmen des 2017 beschlossenen neuen Sozialismus-Konzepts, will sich der Staat künftig von der direkten Verwaltung „nicht-strategischer“ Betriebe trennen.

Von den 4,5 Millionen Beschäftigten auf Kuba arbeiten derzeit 32 Prozent im nicht-staatlichen Sektor. 632.000 von ihnen, rund 14 Prozent der Erwerbstätigen, halten eine Lizenz als „Arbeiter auf eigene Rechnung“ (Cuentapropista). Die Warenexporte Kubas gingen von 6,17 Mrd. US-Dollar 2011 auf 2,74 Mrd.US-Dollar im Jahr 2018 zurück. Um die Exporte zu steigern und den Binnenmarkt zu beleben, sollen neben Kooperativen künftig auch Miko-, Klein- und mittlere Betriebe als eigene Rechtsform auf privater und staatlicher Basis eingeführt werden.

Update (28.07): Inzwischen wurden die ersten 200 Verträge im neuen Großmarkt Mercabal abgeschlossen, der seine Waren bisher als einziger in kubanischen Pesos (CUP) verkauft, während die übrigen neuen Geschäfte ab September ihre Waren nur in Devisenwährung anbieten.

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12 Gedanken zu “Havanna öffnet Großmarkt für Privatsektor, neues Modell für staatliche Gastronomie

  1. Ich würde gerne Vorschläge zu folgenden Themen machen:
    1. Fernstraßenausbau von Havanna nach Guantanamo
    2. Eröffnung eines Volkswagen Werkes in Kuba
    3. Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten
    4. Cooperation mit der Deutschen Bank
    5. Aktivieren der Beziehungen zwischen Deutschland und Kuba (Auf Grundlage der ehemaligen DDR Beziehungen)

    1. Ich denke das wichtigste wäre erstmal dauerhaft die Bevölkerung mit bezahlbaren Grundnahrungsmitteln und Medikamenten zu versorgen. Aber dies scheint ja nicht im Interesse der Partei zu liegen?

    2. Mir stellt sich folgende Frage:
      An wen gehen die Vorschläge?
      zu Punkt 1.
      Cuba würde sicher den Vorschlag umsetzen. Meines Wissens kostet in Deutschland ein Kilometer Autobahn durchschnittlich zwischen 1 und 1,5 Millionen Euro. Setzen wir für Cuba einen Bruchteil dessen an, stellt sich immer noch die Frage: „wo die Investionsmittel herkommen sollen?“ Gedankenstütze: 70 %tiger Lebensmittelimport und eine Entfernung von 832 km (incl. vorhandenen und reparaturwürdigen Abschnitt) zw. Havanna und Guantanamo

      zu Punkt 2.
      Welchen Sinn macht ein VW-Werk in Cuba? Aus Sicht von VW steht einerseits die Blockadepolitik der USA und deren Anwendung auf Drittstaaten (u.a. siehe zweites Faltblatt -pdf- unter hch-ev.de/ueber-cuba/blockade.html) dem entgegen. Andererseits das VW-Werk in Puebla (Mexiko), welches mit Sicherheit den cub. Bedarf decken kann. Die Einkommensverhältnisse werden sicher keinen so hohen Absatz zulassen, der den Bau eines Werkes rentabel macht.

      zu Punkt 3.
      Welche Auswirkungen die Blockade auf den medizinischen Bereich incl. Versorgung mit Medikamenten hat, ist entsprechenden und diversen Quellen zu entnehmen. Da scheitert schon der Kauf eines Mikroskops bei einem deutschen Hersteller (siehe Faltblatt oben)

      zu Punkt 4.
      Mir erschließt sich nicht was eine Kooperation, speziell mit der Deutschen Bank, bringen soll, mal abgesehen von den Problemen, welche die Deutsche Bank schon mit der US-Justiz hatte und hat. Neben einem Kursverlust der Deutschen Bank von über 100 € auf 8 € innerhalb von ca. 10/12 Jahren, welche Auswirkungen die US-Blockade für internationale Banken hat, siehe oben erwähntes Faltblatt.

      zu Punkt 5.
      Nachdem die Kohl-Regierung einseitig und im Widerspruch zum so genannten Einigungsvertrag u.a. Verträge der DDR mit Cuba über die Lieferung von Milchpulver aufgekündigt hat, die folgenden Bundesregierungen sich den „gemeinsamen Standpunkt der EU zu Cuba“ angeschlossen hatten, welcher zwar 2016 durch einen neuen Vertrag zwischen souveränen und gleichberechtigten Partnern ersetzt wurde, kann man wohl davon ausgehen, dass die Beziehungen niemals wie vor 1990 sein werden bzw. als Grundlage dienen könnten. Bei allem Optimismus.

  2. Ich finde hier keinen Kommentar über die Bezahlung, ist das ein Geheimnis, welches erst noch gelüftet werden soll ? So neben bei, wie kann man denn jemand in Dollar einkaufen lassen und dann soll das in CUC verkauft werden ? Wo steckt da die Logik

    1. Die Bezahlung in den neuen Devisenläden geht über eine nationale oder internationale Girokarte, welche mit einem entsprechenden Konto in Fremdwährung (US$, €, Franken, etc.) verknüpft ist. Kubaner können sich seit letztem Jahr ein Konto in Devisenwährungen eröffnen, seit Anfang des Jahres auch Ausländer mit temporärer Aufenthaltserlaubnis (z.B. Studenten, ausländische Fachkräfte mit Arbeitsvisum oder Mitarbeiter von Botschaften, NGOs, etc.)

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