Mehr als 11.000 Informatiker in ganz Kuba folgten den Debatten, als am 18. Januar in Havanna der landesweit erste Kongress über „Informatisierung und Cybersichherheit“ begann. Die dreitägige Veranstaltung diskutierte vor allem die Bedeutung der IT-Technik für die Entwicklung des kubanischen Modells. Auch die angekündigte Gründung einer Berufsvereinigung für die Informatiker auf der Insel war Teil der Diskussionen. Ziel ist, damit die Grundlagen für eine längerfristige Strategie im Umgang mit dem Internet in Kuba zu legen.
Das Internet als Wirtschaftsmotor
Die Gästeliste für die Veranstaltung umfasste nicht nur die IT-Experten, sondern auch die zuständigen Minister und Vertreter staatlicher Unternehmen. Getagt wurde ab vergangenen Mittwoch im „Palacio de las Convenciones“ in Havanna, dem größten Konferenzzentrum des Landes. In dutzenden weiteren Einrichtungen wurden landesweit Videoübertragungen eingerichtet, so dass tausende weitere Teilnehmer die Konferenz live verfolgen konnten.
Währenddessen wurde für zwei Tage ein Onlineforum auf der Seite des Kommunikationsministeriums eingerichtet, um die Diskussion über die IT-Politik des Landes auch im Internet zu starten. Neben der IT-Technologie ging es bei der Konferenz vor allem auch um die Frage, welche Rolle das Internet in der kubanischen Gesellschaft in Zukunft einnehmen wird und wie die Informatisierung des Landes vorangetrieben werden soll.
Kuba hat dabei auch das Potential der digitalen Ära für die Entwicklung seiner Wirtschaft erkannt. Was Studien unlängst belegen, wurde auch in Havanna erörtert: Der Zusammenhang zwischen Internetzugang und Wirtschaftswachstum. In einen „Motor für die Ökonomie“ sollen sich die IT-Technologien künftig verwandeln, forderte die Granma. Insbesondere die Entwicklung und der Export von Software soll vorangetrieben werden. Die kubanische Wirtschaft müsse in Zukunft das Potential einer modernen, wissensbasierten Ökonomie voll ausnutzen.
Allerdings könne die aktuelle Situation auf dem Gebiet „keine Antworten auf viele Bedürfnisse der Bevölkerung liefern, und man kann auf einigen Gebieten nur geringe Fortschritte bei der Anwendung der Informationstechnologien erkennen“, räumte der Vizeminister des Kommunikationsministeriums, Wilfredo González Vidal, ein.
Neue Berufsorganisation der Informatiker
Deshalb müsste eine politische Strategie entwickelt werden, um die Informatik in einen „strategischen Entwicklungssektor“ der kubanischen Wirtschaft zu verwandeln. Gónzalez zu Folge sollen neue Indikatoren entwickelt werden, um die Durchdringung der Gesellschaft mit IT-Technologie besser messen zu können. Außerdem sollen staatliche Firmen in Zukunft verstärkt private Dienstleister auf diesem Gebiet in Anspruch nehmen können.
Einige der ersten Schritte in in diesem Jahr soll die Ausdehnung des Internetzugangs auf weitere Staatseinrichtungen sowie die stärkere Verbreitung von EC-Karten zur bargeldlosen Bezahlung sein. Kuba müsse vor allem auf sein umfassendes Humankapital zurückgreifen und zusammen mit den Experten des Landes eine kohärente Informationspolitik entwickeln. Der Export von Softwareprodukten in die USA ist bereits möglich, sofern die Produzenten keine Staatsbetriebe sind. Bisher wird in Kuba entwickelte Software unter anderem nach Venezuela und Spanien verkauft.
Die Gründung einer Berufsorganisation für Informatiker, die künftige „Unión de Informáticos de Cuba (UIC)“, zählt zu den wichtigsten Ergebnissen des Kongresses. Sie ermöglicht es Kubas Informatikern, ähnlich wie bereits den Journalisten und Künstlern, sich in einer eigenen Vereinigung zu vernetzen, um gemeinsam Einfluß geltend zu machen und Diskussionsprozesse zu gestalten. In regelmäßigen Abständen soll die Organisation nationale Kongresse abhalten und könnte so künftig als „Think Thank“ für eine neue Internet- und Informationspolitik dienen.
„Recht auf Internet“ – Kubas Vizepräsident bezieht Stellung
Klare Worte fand am letzten Tag der Konferenz Kubas Vizepräsident Miguel Díaz-Canel, der sich in seiner Rede ganz dem Thema Internet widmete: „Es gibt den politischen Willen der Partei und der kubanischen Regierung, die Informatisierung der Gesellschaft zu fördern und das Internet in die Dienste aller zu stellen“, sagte der designierte Nachfolger Raúl Castros. Auch er gab zu: „Es wurde viel getan, allerdings nicht immer das was wir brauchen und auch nicht immer in einer kohärenten Weise.“
Der Zugang zum Internet sei „ein Recht aller“, dem das fundamentale Recht auf Information zu Grunde liege, erklärte Díaz-Canel und versicherte ungewohnt deutlich: „Der Staat wird daran arbeiten, dass diese Ressource verfügbar, erreichbar und für alle erschwinglich sein wird.“ Das Internet allein löse nicht alle Probleme und müsse im Rahmen der Gesetze eingesetzt werden, allerdings könne es einen wichtigen Beitrag zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung des Landes leisten.
Der Kongress habe hierzu eine „ehrliche, ernsthafte und kritische Debatte“ geliefert. Die grundlegenden Probleme der kubanischen Gesellschaft würden einen „kreativen und intensiven Einsatz des Internets“ verlangen, so Díaz-Canel. In seiner Rede machte er anhand einiger Beispiele die Möglichkeiten des Internets in Kuba deutlich. Der Zugang zum Internet sei eine „notwendige Voraussetzung“ für entwickelte Gesellschaften und werde zur sozialen und politischen Partizipation im Sozialismus beitragen.
Gleichzeitig hob er die Bedeutung des Internets als Kulturgut und Instrument zur Wissensvermittlung hervor. Von der beruflichen Fortbildung bis zum globalen Austausch sei das Internet heute unverzichtbar für Innovation und Vernetzung, erklärte Kubas Vizepräsident. Die bisherige Internetpolitik des Landes sei wenig systematisch gewesen, sagte Díaz-Canel und führte gleich eine ganze Liste mit Kritikpunkten ins Feld.
Demnach sei der Ausbau des Netzes bisher langsam und die Verwendung der Mittel intransparent, die angebotenen Dienstleistungen ineffizient, das Personal zu wenig geschult, die Entwicklung zu zentralisiert und ohne rechtlichen Rahmen. Es gebe eine „unzureichende Dynamik bei der Entwicklung von neuen Dienstleistungen und Inhalten.“ Außerdem kritisierte er die Hemmnisse bei der Beantragung eines Anschlusses, welche gleichermaßen für Institutionen und Privatpersonen gelten.
Eine neue Internetpolitik für Kuba
Die zu entwickelnde Internetpolitik Kubas solle systematisch an den Ausbau der Netzinfrastruktur herangehen und sowohl die Wirtschaft als auch die Gesellschaft als Gesamtsystem voran bringen, „mit allen und für das Wohl aller“. Díaz-Canel entpuppt sich damit als Fürsprecher eines umfassenden Internetausbaus in einem Land, in dem weniger als ein Viertel der Bevölkerung Zugang zum Netz hat – die meisten davon auf dem Arbeitsplatz bzw. in der Universität. Die Preise von 4,50 US$ pro Stunde sind angesichts des durchschnittlichen Monatslohns von 20 Dollar für die meisten Kubaner noch immer unerschwinglich.
In den letzten Jahren sorgte das Mismanagement beim staatlichen Telekommunikationsanbieter ETECSA zudem für heftige Kritik in weiten Teilen der Bevölkerung. So kam es nach der Inbetriebnahme des mobilen Datennetzes im vergangenen Frühjahr zu mehrmonatigen Betriebsstörungen und auch die teuren Internetcafés sind oftmals in schlechtem technischen Zustand und überfüllt. Die Nachfrage nach Internet übersteigt derzeit bei weitem das Angebot in Kuba, was das Erarbeiten einer wirksamen Strategie unabdingbar macht.
Dabei hat ETECSA bereits angekündigt, die Anzahl der Internetcafés in diesem Jahr von 155 auf 300 zu verdoppeln. Neu ist, dass die Firma nun offenbar auch die Einrichtung öffentlicher WiFi-Netze plant. Entsprechende Gerüchte sind in der Vergangenheit dementiert worden, nun traut sich das Unternehmen selbst damit an die Öffentlichkeit. In den kommenden Wochen soll in der westlichen Provinz Artemisa erstmals ein Internetcafé um ein drahtloses Netz erweitert werden.
Noch ist unklar, in welchem Umfang der Ausbau des Internets voran getrieben wird. Die bisherige Preispolitik und das Fehlen von Privatanschlüssen stellen derzeit wohl die größten Hindernisse auf dem Weg zur informatisierten Gesellschaft dar, wie sie von den Kongressteilnehmern einhellig gefordert wurde. Die letzten Jahre waren dabei – trotz des neuen Unterseekabels aus Venezuela – von fehlenden Investitionen und einer taktierenden Haltung Seitens ETECSA gekennzeichnet.
Fazit
Mit der Konferenz und der Gründung der Berufsvereinigung hat Kuba den Stein für eine längst überfällige Debatte ins Rollen gebracht. Das Recht auf Internetzugang wurde dabei durch Díaz-Canel erstmals von höchster Regierungsstelle anerkannt. Die Botschaft des Kongresses war klar: Das Internet und seine Rolle im künftigen Kuba ist ein Thema, dass von der gesamten Gesellschaft diskutiert werden muss; es ist zu wichtig um es den internen Planungen von ETECSA überlassen zu können. Der Weg den Kuba hierbei zu gehen hat ist lang und beschwerlich. Mit dem Kongress hat die Regierung jedoch ihre Bereitschaft bekräftigt, die ersten Schritte zu tun.
Kuba hat das Internet als Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit akzeptiert und versucht gleichzeitig seine soziale und koordinierte Nutzung zu fördern. Das Internet soll nicht nur passiver Informationslieferant sein, sondern aktiv zur Stärkung der staatlichen Institutionen und der Verbesserung ihrer Dienstleistungen eingesetzt werden. Die Politik scheint erkannt zu haben, dass nicht nur die heranwachsende Generation das Internet braucht, um an den Entwicklungen des 21. Jahrhunderts teilhaben zu können.
Denn auch den zahlreichen Privatbetrieben, Kooperativen und ausgebildeten IT-Spezialisten des Landes ist umfassender Internetzugang ein wichtiges Anliegen für die Zukunft ihrer wirtschaftlichen Existenz. Die Frage nach dem Ausbau des Internetzugangs in Kuba richtet sich heute nicht mehr nach dem „ob“. Gefordert ist deshalb ein umfassender Meinungsaustausch, an dessen Ende eine ausgewogene Strategie steht, die für die nächsten Jahre auch eine Antwort nach dem „wann“ und „wie“ geben kann.