Am Donnerstag ist in Hanoi die wohl seit langer Zeit arbeitsintensivste Reise einer kubanischen Politbürodelegation zu Ende gegangen. Angeführt wurde die hochrangige Abordnung vom Kaderbeauftragten der PCC und Díaz-Canel-Vertrauten Roberto Morales. Mit dem Besuch in den sozialistischen Bruderländern China, Laos und Vietnam sollten die durch Corona unterbrochenen Parteibeziehungen auf persönlicher Ebene wiederbelebt werden. Dabei ging es nicht nur um Händeschütteln und Abkommen unterzeichnen: Erklärtes Ziel der Delegation war diesmal auch der „Erfahrungsaustausch über die Prozesse des sozialistischen Aufbaus“. Können asiatische Rezepte aus „Doi moi“ und „Reform und Öffnung“ die kubanische Reformküche erweitern? „Cuba heute“ wirft einen Blick auf die Ergebnisse des Delegationsbesuchs.
Handel und Geschichte
Bereits seit vielen Jahrzehnten pflegt Kuba enge Beziehungen zu den drei Ländern. Insbesondere zur Sozialistischen Republik Vietnam sind die Bande innig. Kubas langjährige Unterstützung für die vientamesische Nationale Befreiungsfront (FNL) nach Beginn der US-Invasion im August 1964 blieb in Hanoi unvergessen. Fidel Castro erklärte bei einem Besuch 1973 Kubas Bereitschaft „das eigene Blut für Vietnam zu geben“. Ein Satz, den auch Vientams Parlamentspräsident Dinh Hue bei seinem Besuch Mitte April wiederholt aufgriff. Zur Volksrepublik China waren die Beziehungen nach dem chinesisch-sowjetischen Zerwürfnis ab Mitte der 1960er Jahre lange Zeit schwierig, haben sich jedoch seit 1989 stetig entwickelt und befinden sich heute auf einem Allzeithoch.
2016 und 2020 löste China Venezuela als wichtigsten Handelspartner der Insel ab, wobei der gesamte Warenumsatz in Folge der einsetzenden Rezession bis 2020 zurückging (siehe Grafik). Vietnam ist nach China der zweitwichtigste Handelspartner Kubas in Asien und der wichtigste in Bezug auf die Lebensmittelimporte: Zwei von drei Reiskörnern, die auf kubanischen Tellern landen, stammen aus dem vietnamesischen Mekongdelta. Das Handelsvolumen lag zuletzt bei 335 Millionen US-Dollar pro Jahr. Darüber hinaus ist Vietnam der größte asiatische Emittent ausländischer Investitionen in Kuba, deutlich vor China, und betreibt als einziger ausländischer Konzessionär einen Industriepark in der Sonderwirtschaftszone von Mariel (ZEDM).
Die Handelsbeziehungen zwischen Kuba und der 7,4 Millionen Einwohner zählenden Demokratischen Volksrepublik Laos, so die vollständige Staatsbezeichnung, sind minimal. Die Parteibeziehungen zwischen PCC und der Laotischen Revolutionären Volkspartei (LRVP) befinden sich jedoch „in exzellenter Verfassung“, wie beide Seiten zuletzt zum Ausdruck brachten.
Von Beijing nach Vientiane
Den Anfang der Asien-Reise der kubanischen Delegation markierte der Besuch in Beijing am 23. April. Neben Morales war auch der jüngste Neuaufsteiger im Politbüro, Joel Queipo Ruiz, Teil der Gruppe. Der neue Leiter der PCC-Wirtschaftsabteilung war auf dem vergangenen Parteitag 2021 direkt von der Basisebene ins Sekretariat des Politbüros gewählt worden. Darüber hinaus waren auch die Leiterin der Parteihochschule „Ñico López“, Rosario Pentón Díaz und die Sekretärin des Kommunistischen Jugendverbands UJC, Aylin Álvarez García Teil der sechsköpfigen Delegation.
Nach der Kranzniederlegung im Maosoleum des Staatsgründers Mao Zedong stattete die Delegation dem 2021 eröffneten Parteimuseum der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) einen Besuch ab, von dessen moderner Technik sich Morales beeindruckt zeigte. Nach einem Treffen mit Premierminister Li Qiang fand ein Theorieseminar zwischen beiden Parteien statt. Die fünfte (und erste Post-Corona) Veranstaltung in diesem Format trug den Titel: „Die integrale Führung der Partei erhalten und stärken, um neue Siege in der Sache des sozialistischen Aufbaus in Kuba und China zu erreichen“. „Die Entwicklung unserer Volkswirtschaften, die politische und ideologische Arbeit und die Rolle der Jugend in der Kontinuität unseres sozialistischen Erbes stellen heute Prioritäten der gemeinsamen Arbeit beim Aufbau des Sozialismus mit seinen jeweils eigenen Merkmalen dar“, fasste Morales die inhaltichen Schwerpunkte zusammen. Weiter ging es nach Shanghai, wo die Kubaner den Gründungsort der KPCh und das Bürgerbüro Gubei in Augenschein nahmen. Obwohl der Schwerpunkt der Reise auf politischen, weniger auf handelspolitischen Themen lag, fanden in Shanghai auch Wirtschaftskonsultationen statt. In Havanna wurde gleichzeitig das kubanisch-chinesische TV-Magazin“Contextos“ vorgestellt, das dem kubanischen Publikum China erklären soll.
Am 28. April landete die Delegation zu einem zweitägigen Aufenthalt in Vientiane, wo Morales mit LRVP-Generalsekretär Thongloun Sisoulith zusammentraf. Dort fand auch das erste Theorieseminar zwischen den KPs von Kuba und Laos statt. Die auf dem VI. Parteitag der PCC gestartete „Aktualisierung“ des sozialistischen Modells in Kuba erfordere „die Unterstützung der Wissenschaft, der Innovation, des ständigen Experimentierens und der Anpassungen im Interesse der Erreichung der größtmöglichen sozialen Gerechtigkeit, was die Essenz unseres Projekts darstellt“, erklärte Morales. Dabei betonte er, dass „das Vorankommen in diesem Bestreben eine Bereicherung des ideologischen und praktischen Erbes erfordert, insbesondere der Beiträge von Marx, Lenin und unserer nationalen Helden“. Mit Premierminister Sonexay Siphadone und Parlamentspräsident Xaysomphone Phomvihane wurden im Anschluss noch Möglichkeiten für eine Vertiefung der Beziehungen ausgelotet.
Kaffee, Reis und Markt: Erfahrungsaustausch in Vietnam
Im Anschluss an den Besuch in Laos traf die Delegation in Ho-Chi-Minh-Stadt ein. Die Landung erfolgte am 30. April, dem Jahrestag der Befreiung der Stadt. Kurz vor dem Feuerwerk zum Tag der Wiedervereinigung fand ein Treffen mit der vietnamesisch-kubanischen Freundschaftsgesellschaft statt. In HCMS besuchte die kubanische Delegation mehrere Agrarprojekte. Am südlichen Ende des Ho-Chi-Minh-Pfads folgte der Besuch bei den Tunneln von Củ Chi, in denen sich vietnamesische Partisanen versteckt hielten. In der Hauptstadt Hanoi traf Morales auf Vietnames neuen Präsidenten Võ Văn Thưởng, der das Amt seit März innehat. Nicht nur mit der KPCh, auch mit der KPV unterhält die PCC seit 2014 einen Theorieaustausch. Das ebenfalls fünfte Seminar trug den weitgefassten Titel „Einige theoretisch und praktische Themen beim Aufbau des Sozialismus in Vietnam und Kuba“. Wie bereits in China und Laos, sind auch in Vietnam die Abkommen zwischen den Parteien, Jugendverbänden und Parteihochschulen erneuert worden. Vor dem Abflug legte die kubanische Delegation einen Kranz an der Status des kubanischen Nationalhelden José Martí in Hanoi nieder, auch ein Besuch des militärgeschichtlichen Museums stand auf dem Programm.
Roberto Morales Ojeda lobte die Ergebnisse des vietnamesischen Reformprozesses Doi Moi (Erneuerung), „der Vietnam aus der Armut geholfen und die Wirtschaft stark entwickelt hat“, so Morales. „Eine der Erfahrungen, die wir aus Vietnam mitnehmen, ist die Rolle der Partei bei der Konsolidierung der wirtschaftlichen Entwicklung. Der heutige Besuch auf dem Coop Mary Markt und der Smart N Green Joint Stock Company Farm zeigt uns, wie viel mehr wir in Kuba tun können“, fügte er auf Twitter hinzu. Im Rahmen der 1986 nach chinesischem Vorbild gestarteten Reformen gelang es Vietnam nach Jahren des Hungers über eine umfangreiche Dezentralisierung von Landwirtschaft und Staatsunternehmen nicht nur die Nahrungsproduktion in Gang zu bringen, sondern auch Überschüsse zu erzielen. Die Zulassung von Marktmechanismen, diversen Eigentumsformen und ausländischen Investitionen verwandelte das vom Krieg gebeutelte Land innerhalb von wenigen Jahren in einen asiatischen „Tigerstaat“, mit kontinuierlichen Wachstumsraten von 6 bis 8 Prozent und stetigem Rückgang der Armut.
Ein wichtiger Pfeiler der Kooperation zwischen Kuba und Vietnam ist seit jeher die Landwirtschaft. Legendär ist diesbezüglich mittlerweile eine Anekdote Raúl Castros:
„Nach dem Ende des US-Krieges hatte die Regierung in Hanoi Kuba gebeten, die Vietnamesen zu lehren, wie man Kaffee anbaut. Wir gingen hin, zeigten es ihnen … Heute steht Vietnam als Kaffee-Exporteur weltweit an zweiter Stelle. Und ein vietnamesischer Beamter fragt seinen kubanischen Kollegen, wie es möglich sei, dass wir, die wir sie einst den Anbau lehrten, heute bei ihnen Kaffee kaufen. Ich weiß nicht, was der Kubaner geantwortet hat. Sicher hat er gesagt: die Blockade.“
Raúl Castro, 2011
Im Jahr 2002 begann ein kubanisch-vietnamesisches Projekt, mit dem der Reisanbau in Pinar del Río und Sancti Spíritus vorangetrieben werden sollte. 2011 wurde das Abkommen nochmals um Technologietransfers erweitert. Ziel war, dass Kuba die jedes Jahr für den Eigenverbrauch benötigten 700.000 Tonnen Reis selbst herstellen kann. Mitte der Nullerjahre erreichte das Projekt eine kurze Blütezeit: Die Hektarerträge stiegen von drei auf fünf Tonnen. Mangelnde Versorgung mit Treibstoff und anderen Inputgütern brachten das Projekt allerdings langsam zum erliegen. Während sich der Investitionsschwerpunkt auf den Tourismussektor verlagerte, zogen sich die Vietnamesen aus dem Projekt zurück. Die jüngste Krise schließlich gab dem Reisanbau auf Kuba den Rest: die heimische Ernte ging von 273.000 Tonnen 2018 auf 40.000 Tonnen im Jahr 2021 zurück. Wie das Vietnamesische KP-Zentralorgan „Nhân Dân“ ankündigte, soll die Zusammenarbeit jetzt auf anderem Gebiet wieder aufgenommen werden: Eine Expertendelegation für High-Tech-Landwirtschaft wie z.B. Hydrokultur, für die beide Seiten großes Potential in Kuba sehen, wird demnächst nach Havanna reisen. Weitere jüngst geschlossene Kooperationsprojekte umfassen die Bereiche Energie, Bausektor und zivile Luftfahrt. Während des Gegenbesuchs des vietnamesischen Parlamentspräsidenten Hue wurde indes eine gemeinsame Fabrik für Flüssig- und Pulverwaschmittel in der Sonderwirtschaftszone von Mariel (ZEDM) eingeweiht.
Fazit: Rezepte für Kuba?
Inmitten der schwersten Wirtschaftskrise der jüngeren Geschichte versucht Kuba nicht nur den Handel zu reaktivieren, sondern streckt auch mit Blick auf den verfahrenen Reformprozess die Fühler aus. China, Laos und Vietnam standen alle vor mehr oder weniger ähnlichen Problemen wie Kuba. Obschon die Bedingungen andere waren, bleiben viele systemischen Probleme der klassischen Planwirtschaft über Länder- und Kontinentgrenzen vergleichbar – genauso wie die Ansätze zu ihrer Lösung. Schaut man sich die ersten Anfänge von Doi Moi in Vietnam näher an, liest sich vieles wie aus dem aktuellen Programm der PCC. Ähnlich wie zu Beginn der vietnamesischen Reformpolitik versucht Kuba heute mit der Öffnung des Außenhandels, der Dezentralisierung des Staatssektors bei gleichzeitiger Zulassung von Privatunternehmen und ausländischen Investitionen seine Wirtschaft in Gang zu bringen, und ähnlich wie Vietnam damals steht auch Kuba heute unter einer Blockade durch die Vereinigten Staaten und hat mit massiver Inflation zu kämpfen. Anders als China und Vietnam haben die Kubaner heute die Chance, die akkumulierten langjährigen Erfahrungen aus drei verschiedenen marktsozialistischen Ländern auszuwerten. Von der Währungspolitik, über die Transformation der Staatsbetriebe bis hin zur Korruptionsbekämpfung (ein Bereich, in dem insbesondere Vietnam in den vergangenen Jahren große Fortschritte erzielt hat), gibt es viele Anknüpfungspunkte.
Damit die Reformen greifen können, sind in der Praxis allerdings noch viele Fallstricke und Hemmnisse zu überwinden. Trotz teils ähnlicher Rezepte, wird in Havanna noch immer gänzlich anders gekocht. Vor allem auf dem Gebiet der Landwirtschaft sind sämtliche kubanischen Reformansätze von den Resultaten her bislang im Sande verlaufen. Das mächtige Landwirtschaftsministerium mit seinem Abnahmemonopolisten Acopio scheint trotz jahrelanger und wiederkehrender Versuche zu seiner Entschlackung immer wieder zum alten Trott des Mikromanagements zurückzufinden. Gleichzeitig fehlt es an Geld für dringend benötigte Investitionen in die Technik, ein Teufelskreis.
Präsident Miguel Díaz-Canel hob in seiner Rede auf dem VII. Parteitag der PCC im April 2021 die „bereichernden Erfahrungen Chinas und Vietnams“ und deren „unbestreitbare Fortschritte in der Wirtschaft und im Lebensstandard“ hervor. Damit benannte ein PCC-Parteitag zum ersten Mal seit Ende des Kalten Krieges wieder ein externes Modell als Bezugspunkt. Wie viel „Doi Moi“ oder „Reform und Öffnung“ die Politbüroabordnung am Ende mit nach Kuba genommen hat, bleibt ihr Geheimnis. Dass neben den zu erwartenden Kadern auch der frischgebackene Wirtschaftssekretär Queipo Teil der Delegation war, deutet jedoch darauf hin, dass man sich in Havanna von dem Besuch mehr als nur ein paar neue Anekdoten verspricht.
Ein Gedanke zu “Reise in den Osten: Politbürodelegation in China, Laos und Vietnam (Analyse)”