Ignacio Ramonet hat es wieder getan. Der spanische Journalist und Medienwissenschaftler („Le Monde“), dessen Buch „100 Stunden mit Fidel“ ihn zum (in-)offiziellen Fidel-Castro-Biograph machte, hat mit Kubas aktuellem Präsident Miguel Díaz-Canel gesprochen. Am Mittwoch wurde das gut zweistündiges Interview veröffentlicht. Thematisch ging es einmal quer durch alle Gebiete: von der aktuellen Krise, zunehmenden Protesten in Kuba und den Reaktionen darauf, über US-Sanktionen und Wirtschaftsthemen bis hin zur großen Weltpolitik. „Cuba heute“ dokumentiert im Folgenden einige Schlüsselstellen aus dem Themenbereich Wirtschaft und anstehende Reformen (Hervorhebungen durch Autor):
Thema Energiesituation:
In Bezug auf die aktuelle Stromknappheit, die von erneuten hohen dreistelligen Erzeugungsdefiziten geprägt ist, bemerkte Díaz-Canel:
Zurzeit ist es nicht so sehr der Mangel an Treibstoff, der uns beeinträchtigt, sondern technologische Probleme. Andererseits haben wir eine Wartungsstrategie entwickelt, die wir trotz der Umstände organisieren konnten, insbesondere um im Sommer möglichst wenig Auswirkungen auf die Bevölkerung zu haben. In diesen Tagen gab es jedoch die Überschneidung, dass mehrere Anlagen geplante Wartungen hatten und gleichzeitig andere Anlagen ausgefallen sind.
Ramonet fragt nach möglichen Lösungen für die aktuelle Energiekrise:
Also, du hast mich nach den Lösungen gefragt.
Wir setzen auf erneuerbare Energiequellen, Wind und Biogas […] vor allem aber auf die Photovoltaik, da diese Investitionen schneller umgesetzt werden können. Wir haben mehrere garantierte Verträge unterzeichnet, die uns in weniger als zwei Jahren über 2000 Megawatt liefern werden. Dadurch könnten wir bis 2030 mehr als 20 Prozent erneuerbare Energien erreichen, vielleicht sogar 25 Prozent.
Dies wird es ermöglichen, während der Spitzenlast die dezentralen Generatorgruppen abgeschaltet zu lassen und alles über diese neue Energie zu decken.
Ah, weil ich dir einen Punkt noch nicht erklärt habe: Wenn thermische Kraftwerke ausfallen, müssen die Generatoren, die hauptsächlich für Spitzenzeiten vorgesehen sind, auch außerhalb dieser Zeiten arbeiten. Dadurch werden sie stärker beansprucht als vorgesehen und können diesen Ausfall nicht immer kompensieren. […] Durch den Minister für Energie und Bergbau wurde unserer Bevölkerung vor einigen Wochen ein umfangreiches Programm vorgestellt. Es werden jetzt schrittweise neue Solarparks errichtet und in Betrieb genommen, um die Stromerzeugung auf diesem Weg zu erhöhen. Dieses Jahr wird es einen substantiellen Wandel geben und kommendes Jahr eine Konsolidierung. […] Einige dieser Solaranlagen werden Energie speichern können, um sie in den Abendstunden zu nutzen, was den Kraftstoffverbrauch reduziert.
Thema Wirtschaftsreformen und Privatsektor:
Ramonet: Herr Präsident, unter den wirtschaftlichen Veränderungen in Kuba in den letzten Jahren ist die Entstehung eines marktwirtschaftlichen Sektors, richtig? Insbesondere hat sich dies kürzlich durch die Entwicklung von Mikro-, Klein- und Mittelunternehmen (KMU), die hier „Mipymes“ [micro, pequeñas y medianas empresas] genannt werden, ausgeweitet. Wie beurteilen Sie dieses Phänomen, das das wirtschaftliche Gefüge Kubas verändert?
Díaz-Canel: Hierzu gibt es meiner Meinung nach einige Klarstellungen zu treffen. Erstens haben wir eine Planwirtschaft, die die Signale des Marktes berücksichtigt, aber es ist keine Ökonomie, die auf reiner Marktwirtschaft basiert, es gibt ein Konzept der sozialen Gerechtigkeit, bei dem die Marktgesetze die wirtschaftliche Entwicklung nicht steuern, weil wir in erster Linie sehr stark an die Menschen denken. Die Effizienz der kubanischen Wirtschaft wird manchmal aus rein ökonomischer Sicht kritisiert, aber ich sage: Diese blockierte Wirtschaft, die immer noch nicht alle unsere Bedürfnisse befriedigt, erhält wichtige soziale Errungenschaften aufrecht, die heute in Kuba als Recht gelten, die aber vielerorts noch nicht erreicht sind. Ich denke also, es gibt auch eine gewisse Ungerechtigkeit bei der Beurteilung der Ergebnisse der kubanischen Wirtschaft. Auf der einen Seite ist es eine Planwirtschaft, die aber die Signale des Marktes und die Gesetze des Marktes berücksichtigt und anerkennt. Auf der anderen Seite der KMU-Sektor. […]
Ramonet: Wofür steht dieser private Wirtschaftssektor heute?
Díaz-Canel: Wenn die Leute heute über die Dynamik der KMU sprechen, sagen sie: „Nein, aber sie wachsen sehr schnell“. Sie wachsen, es ist ein relativ neuer Prozess, und wir haben bereits etwa 10.000. Aber eines unserer Konzepte, als Teil des sozialistischen Aufbaus, ist, dass die Hauptproduktionsmittel in den Händen des Staates liegen und von staatlichen Unternehmen vertreten werden. Daher liegt das größte Gewicht der Wirtschaft im staatlichen Sektor, ohne den wichtigen Beitrag des nichtstaatlichen Sektors zu leugnen. Ich glaube, es war auch ein relativ neues Feld in der Perfektionierung unseres sozioökonomischen Systems. Jetzt müssen wir einige Verzerrungen in den Beziehungen zwischen staatlichen Unternehmen und nichtstaatlichen Einrichtungen korrigieren, sodass alle als Teil der wirtschaftlichen Akteure in unserer Gesellschaft zum Nationalen Wirtschafts- und Sozialentwicklungsplan beitragen. Aus diesem Grund aktualisieren wir gerade in Absprache mit dem nichtstaatlichen Sektor und dem kubanischen Unternehmenssektor eine ganze Reihe von Normen, um mehr Kohärenz zu erreichen und die Wirtschaft des Landes durch Beiträge sowohl des staatlichen als auch des nichtstaatlichen Sektors zu stärken.
Wir betonen hier auch, dass viele dieser Unternehmen nach dem Konzept von Hochtechnologie- und innovativen Unternehmen gegründet werden, was wir im staatlichen Sektor erreichen können. Denn eine der Eigenschaften von KMU, ob staatlich oder privat, ist, dass sie sich aufgrund ihrer Konzeption und ihrer Arbeitsweise schneller an Veränderungen anpassen und größere Innovationsfähigkeiten haben.
Ramonet: Denken Sie, dass sich dieser Sektor weiter vergrößern wird?Díaz-Canel: Ich glaube, dass sich dieser Sektor weiter vergrößern und Teil unseres Wirtschaftssystems bleiben wird. Er wird kein Feind der Revolution sein, sondern einen Beitrag leisten, da er unter den Bedingungen der Revolution entstanden ist. Obwohl wir wissen, dass die US-Regierung versucht, diesen Sektor in Opposition zur Revolution zu bringen.
Heute gibt es eine enorme Widersprüchlichkeit: Es gibt Senatoren, Kongressabgeordnete und Meinungsführer in den Vereinigten Staaten, die sagen, dass man nicht den staatlichen Sektor unterstützen, sondern den KMU Geld geben sollte, um sie zu Agenten des Wandels zu machen. Andere sagen, dass die KMU, als Schöpfungen des kubanischen Staates, eine bestimmte Fassade darstellen und daher gestoppt werden müssen. Selbst sie haben hier eine Widersprüchlichkeit, die nicht in Kuba entsteht. In Kuba sind sie ein notwendiger Teil des Unternehmensgeflechts, um den sozialistischen Aufbau voranzutreiben. Sie sind in den Nationalen Wirtschafts- und Sozialentwicklungsplan eingebunden und es wird darauf geachtet, dass keine Verzerrungen in diesem Bestreben auftreten.
Das vollständige Interview findet sich als Transkript (Spanisch) und mittlerweile vollständig auf Deutsch übersetzt sowie auf YouTube: