Am Wochenende fand sich der Ministerrat Kubas zu einer Sitzung zusammen, in der die Performance der Volkswirtschaft für das Jahr 2012 analysiert und erste Ausblicke auf das Jahr 2013 gegeben wurden. So beträgt das Wirtschaftswachstum für dieses Jahr nach aktueller Prognose 3,1%, damit wurde das Ziel von 3,4% knapp verfehlt. Im wesentlichen sei das zu geringe Gesamtwachstum der schlechten Leistung des Bausektors geschuldet, urteilt Adel Yzquierdo Rodríguez, Vizepräsident des Ministerrats. Dennoch ist dies eine Steigerung im Vergleich zum Jahr 2011 in welchem das BIP um 2,7% anstieg.
Die kubanische Wirtschaft wächst derzeit in anderen Bereichen jedoch bewusst disproportional: Während die Sparten Gesundheit, Bildung, Kultur und Sport sowie soziale Absicherung auf einem ähnlichen Niveau wie 2011 bleiben, gab es ein Wachstum von 4,5%, wenn man diese Bereiche herausrechnet. Dies sei in Übereinstimmung mit dem Ziel der Förderung der Materialproduktion und der Steigerung der Effizienz der Sozialsysteme, sagte Rodríguez in seinem Bericht über die Wirtschaft. Für 2013 erwartet die Regierung einen Anstieg des BIP um 3,7%, auch die Staatseinnahmen sollen durch das neue Steuergesetz üppiger ausfallen. Ab nächstem Jahr werden in Kuba alle juristischen Personen einen gewissen Betrag an Steuern bezahlen, wobei landwirtschaftliche Genossenschaften vom Typ UBPC sowie selbstständig Beschäftigte für die kommenden Jahre gewisse Steuervorteile genießen werden um das Wachstum des Sektors zu stimulieren. Beispielsweise sind die seit Dezember von den Belegschaften gepachteten und ehemals vom Staat betriebenen Restaurants für die ersten 3 Monate von Steuern befreit und bekommen einmalig eine jährliche Steuerbefreiung, falls sie Sanierungsarbeiten am Objekt vornehmen. Dies ist Teil des langsamen Zurückfahrens direkter staatlicher Wirtschaftslenkung in der Gastronomie, aber auch anderen bereichen lokaler Dienstleistungen.
Soweit so gut – doch was wird sich noch im nächsten Jahr konkret verändern? Zunächst einmal wird es mehr Genossenschaften außerhalb der Landwirtschaft geben (derzeit laufen Pilotprojekte die künftig „in Serie“ gehen werden), der freie Verkauf von Überschüssen soll für ihre Entstehung ein begünstigendes Element sein. Zukunftig werden solche Dienstleistungsgenossenschaften in Kuba viele der staatlich betriebenen mittelständischen Unternehmen ablösen und ihre Abgaben wie Steuern und Miete direkt an die jeweiligen Provinzen entrichten um zur lokalen Entwicklung beizutragen. Dies geschieht unter der Zielvorgabe einer Ausdehnung des nicht-staatlichen Sektors bei gleichzeitig kleinem Privatsektor. Bis 2015 soll der nicht-staatliche Sektor 1,8 Millionen Beschäftigte aufnehmen, was knapp einem Drittel aller Arbeitskräfte Kubas entspricht. Doch zu diesem Sektor zählen auch Genossenschaften, die über ein eigenes Budget verfügen und demokratisch verwaltet werden, was die Konzentration von Eigentum und damit das Entstehen sozialer Ungleichheiten verhindert. Als autonome juristische Subjekte unterstehen sie keiner direkten staatlichen Planung, können aber mit dem Staat in Verbindung treten und mit ihm Verträge abschließen. So werden beispielsweise die gepachteten Restaurants künftig weitehrin Rum und Tabak vom Staat beziehen um die Preise für die Endverbraucher konstant zu halten. So bieten sich viele Möglichkeiten für die neuen Genossenschaften mit dem Staat zu interagieren und integraler Teil der sozialistischen Wirtschaftsstruktur zu werden. Ein interessanter Aufsatz über die aktuellen und künftigen Entwicklungen von Genossenschaften in Kuba findet sich hier.
In der ACN-Meldung (Englisch) zur Sitzung ist jedoch auch die folgende Passage bemerkenswert:
También a las empresas importadoras seleccionadas se les asignará una capacidad financiera para respaldar en el mercado la presencia de productos ampliamente solicitados.
Auch werden finanzielle Kapazitäten ausgewählten Importfirmen zugeteilt, um den Markt mit besonders nachgefragten Produkten zu versorgen.
Darunter lässt sich zunächst sehr viel verstehen, möglicherweise rechnet man bereits mit einer leichten Steigerung der allgemeinen Kaufkraft und versucht so das Sortiment der staatlichen Devisenläden zu erweitern, andererseits könnten auch Großhandelsprodukte gemeint sein, welche von den neuen Genossenschaften und Cuentapropistas weiterverarbeitet werden. Im Laufe des Jahres 2013 werden solche Großmärkte für Einzelpersonen und Unternehmen gleichermaßen zugänglich. In jedem Fall scheint eine Ausdehnung der Importkapazitäten derzeit ein Ziel mit Blick auf die kommenden Jahre zu sein.
Weiter geht aus dem Artikel hervor, dass auch die Staatsausgaben (durch die höheren Steuereinnahmen gedeckt) weiter steigen sollen, ein Großteil dieser Steigerung kommt nächstes Jahr durch Subventionen von Baumaterialien gezielt ärmeren Familien zu gute. Damit hätte man gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Zum einen wird der Staat seiner sozialen Verantwortung gerecht, sich um die ärmsten zu kümmern – zum anderen wird dadurch die Bautätigkeit gefördert, was aufgrund der relativ niedrigen Investitionsquote dringend geboten ist.
Vizepräsident des Ministerrats Marino Murillo Jorge, der auch gleichzeitig die Umsetzung der Beschlüsse des VI. Parteitags überwacht, vermeldet desweiteren Fortschritte bei der Implementierung und erklärt, dass bereits umgesetzte Beschlüsse weiter verfeinert würden um sie den konkreten Gegebenheiten anzupassen. Die neu geschaffenen Provinzen Artemisa und Mayabeque, welche neue, experimentelle Verwaltungsstrukturen bekamen arbeiteten weiter an ihrer Verbesserung. Möglicherweise könnten diese seit 2011 erprobten, auf mehr Demokratie und lokale Entscheidungsfindung hin konzipierten Modelle bald in ganz Kuba Schule machen. Diese Pilotprojekte beinhalten auch die Ausstattung der Provinzregierungen mit eigenem Budget und autonomen Kompetenzen. Jose A. Rodriguez widmet dem Thema einen eigenen Artikel, welchen es hier zu lesen gibt.
Thema war auch die Cuentapropistas, die seit 2011 massiv gewachsene Gruppe der selbstständig Beschäftigten mit kleinen Dienstleistungs- oder Gastronomiebetrieben. Gab es 2010 lediglich 147.000, so wurden es bis Ende 2011 bereits 362.000. Geplant war allerdings eine Zunahme auf 500.000 bis Ende 2012. Um die Zahl der derzeit lediglich 395.000 Cuentapropistas zu erhöhen sollen die Bestimmungen für die Lizenz einer selbstständigen Beschäftigung weiter gelockert werden. Dies wird neben steuerlichen Erleichterungen auch eine Erweiterung der derzeit 181 Berufsgruppen für private Selbstständige bedeuten.
Ernesto Medina Villaveirán, Präsident der Zentralbank Kubas, stellte das langsame Absinken der beträchtlichen Auslandsschulden im Vergleich zum Dezember 2011 fest, dennoch seien auf diesem Feld noch intensivere Bemühungen von Nöten um die Schulden der einzelnen Unternehmen genauer erfassen zu können. Auch das nationale Statistikbüro ONE soll einer Umstrukturierung unterzogen werden um in Zukunft bessere und aktuellere Daten zu liefern. Hierzu soll die Schnittstelle zu den Provinzregierungen ausgebaut werden.
Am Ende gab der Bericht noch vorläufige Ergebnisse des Zensus bekannt: Derzeit leben 11.163.934 Menschen in 3.931.643 Wohneinheiten auf Kuba, was durchschnittlich 2,84 Bewohner pro Wohneinheit bedeutet. 50,09% der Kubaner sind männlich, 49,91% weiblich. Besonders interessant sind die Angaben zur demographischen Entwicklung: 18,3% der Kubaner sind demnach 60 Jahre oder älter, 18,4% zwischen 0 und 15 Jahren alt. Die größte Gruppe sind die 16 bis 59-jährigen mit 63,3% (Die Endergebnisse werden im Juni 2013 vorliegen). Damit ist Kuba auf einem ähnlichen demographischen Niveau wie andere entwickelte Staaten angelangt, was zunächst einmal ein erfreuliches Zeichen erfolgreicher Sozialpolitik ist. Denn der demographische Trend zur Überalterung wird durch Faktoren wie hohe Lebenserwertung und geringe Kindersterblichkeit begünstigt. Allerdings birgt dies auch wirtschaftliche Probleme bei der Finanzierung der sozialen Sicherung. Deshalb erhielt der Ministerrat den Auftrag Lösungsvorschläge zur Hebung der Geburten zu erarbeiten.
Insgesamt scheint sich ein leichter Aufschwung der kubanischen Wirtschaft abzuzeichnen, der in den nächsten Jahren noch an Dynamik gewinnen könnte. Denn in den Jahren 2013/14 sollen Marino Murillo zufolge die wichtigsten Beschlüsse des Parteitags umgesetzt werden. Auch mit mehr Joint-Ventures darf bis dahin gerechnet werden, schließlich steht zu dieser Zeit auch die Fertigstellung des Hafenausbaus von Mariel samt Sonderwirtschaftszone bevor, womit Kuba über einen der größten Containerhäfen der Karibik verfügen wird. Die weitere Entwicklung der Zusammenarbeit mit der brasilianischen Firma Odebrecht, die aktuell auch bei einem Pilotprojekt zur Modernisierung der Zuckerindustrie beteiligt ist könnte nächstes Jahr ebenfalls von Interesse sein.
Bemerkenswert ist aber nicht nur der eigentlicht Inhalt der Sitzung, sondern auch die Ausführlichkeit mit der über die bisherigen und geplanten Veränderungen berichtet wurde. In vergangenen Dekaden verlief die Umsetzung der Parteitagsbeschlüsse oft nur schleppend, teilweise wurden sie verworfen bevor sie zu Gesetzen werden konnten. Deshalb wurde auf dem VI. Parteitag 2011 eine interne Kontrollkomission eingeführt, die die Umsetzung der Beschlüsse bis zum nächsten Parteitag überwacht. Diese scheint ihre Arbeit auch erfolgreich zu erledigen, zumindest erstattet sie bei jeder Ministerratssitzung detailliert Bericht und die Arbeit der einzelnen Organe liegt offenbar im Zeitrahmen. Vom politischen Standpunkt aus steht der Erneuerung der Wirtschaft also nichts im Wege, nun müssen allerdings die angegangenen Konzepte greifen und neue Strukturen geschaffen werden. Diese „kritische Phase“ steht wohl in den kommenden 3 Jahren beginnend mit 2013 bevor, in der sich die wirtschaftliche Struktur tatsächlich in größerem Umfang ändert. Die Steigerung der Lebensmittelproduktion um Importe zu substituieren wird wesentlich zum Erfolg des Unterfangens beitragen müssen, denn für Kubas künftige wirtschaftliche Prosperität ist eine Erholung des Landwirtschaftssektors unabdingbar. Gerade dort zeichnet sich derzeit ein Preisanstieg für Lebensmittel ab, was auf die fortdauernden Schwierigkeiten in der Landwirtschaft schließen lässt. Dies deutete auch Raúl Castro während der Sitzung an, als er darauf hinwies, dass gerade für Nahrungsmittelimporte aufgrund mangelnder Planerfüllung immer zusätzliche Millionen ausgegeben werden müssten. Ob das neue UBPC-Gesetz 2013 hier bereits Wirkung zeigt, bleibt abzuwarten. Man darf in jedem Fall weiterhin gespannt sein. Oder um Hans Modrow zu zitieren, der sich nach kürzlichen Rückkehr aus Kuba in der jungen Welt wie folgt äußerte: „Was jetzt beginnt, dürfte die größte Herausforderung in Kubas Geschichte sein.“
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