29. März 2024

Mehr als 1700 KMU genehmigt

Fast im Wochentakt entstehen derzeit neue kleine und mittlere Unternehmen (KMU) auf Kuba. Am Donnerstag wurde die letzte Runde von 88 Anträgen bestätigt, womit die Anzahl der Betriebe auf 1707 angewachsen ist. Inzwischen sind sie in 80 Prozent aller Kommunen vertreten und stellen 27.395 Arbeitsplätze. Die Zulassung der neuen Akteure markiert die umfassendeste Öffnung des Privatsektors der letzten Jahrzehnte auf der Insel. Wie sieht der Stand der Dinge heute aus, vier Monate nach Inkrafttreten der Gesetze?

Die ersten KMU auf Kuba

Von den 1707 kleinen und mittleren Unternehmen sind 1656 reine Privatbetriebe (97 Prozent), 28 von ihnen sind staatlich und 23 Kooperativen. 86 der Unternehmungen sind lokale Entwicklungsprojekte. Bei 58 Prozent handelt es sich um bereits bestehende Betriebe, während 42 Prozent Neugründungen darstellen. Seit dem Beginn der Gründungsphase am 20. September vergangenen Jahres hat das Wirtschaftsministerium (MEP) die neuen Akteure in mehreren Wellen (über sogenannte convocatorias, also Aufrufe) genehmigt. Als erstes wurden Anträge in den Branchen Lebensmittelproduktion und Exportwirtschaft sowie für lokale Entwicklungsprojekte entgegengenommen, gefolgt von High-Tech, Recyling & Kreislaufwirtschaft, herstellender Industrie, Informatik, Logistik und Transport. Später kamen Baugewerbe, Gastronomie und zuletzt Buchhaltung hinzu.

Regionale Verteilung (Daten vom 19.01, Quelle: MEP)

Geographisch sind die ersten KMU mit Abstand am häufigsten (40 Prozent) in Havanna angesiedelt, gefolgt von der Provinz Granma (10,6 Prozent), Villa Clara & Holguín (jeweils 6 Prozent) sowie Matanzas & Santiago de Cuba (jeweils 5,8 Prozent). In einer Sondersendung vom 18. Januar gab Kubas stellvertretende Wirtschaftsministerin, Johana Odriozola Guitart, Auskunft zum Stand des Prozesses. Dem Ministerium würden bislang 3200 Anträge vorliegen, welche in Zusammenarbeit mit den lokalen Institutionen abgearbeitet werden. Die zügige Bearbeitung der Gründungsanträge sowie die manchmal schleppend verlaufende Registrierung der Unternehmen beim Handelsregister werde regelmäßig von höchster Stelle überprüft, erklärte die Vizeministerin.

Allianzen für mehr Produktion

KMU können bis zu 100 Personen beschäftigen und erhalten die Rechtsform einer „Sociedad de responsabilidad limitada“ (SRL), die in etwa einer deutschen GmbH entspricht. Damit sind neben einem deutlich attraktivieren Steuersystem und Haftung über das Firmeneigentum auch neue Möglichkeiten für Allianzen mit dem Staatssektor und ausländischen Investoren verbunden. Zudem sind jetzt Gründungen in sämtlichen Branchen mit Ausnahme einer 112 Punkte umfassenden Negativliste möglich. Vorher war auf Kuba lediglich Selbstständigkeit in Form der „Arbeit auf eigene Rechnung“ in genau spezifizierten Tätigkeiten vorgesehen, wobei viele Unternehmen im Laufe der Jahre weiter gewachsen sind und professioneller wurden. Diese befinden sich entsprechend unter den ersten S.R.L.s. Mit Einführung der neuen Akteure soll die heimische Produktion über die Schaffung neuer Wertschöpfungsketten wachsen, indem sich Staats- und Privatsektor über eine Angleichung der Rahmenbedingungen enger verzahnen. Mittelfristig sieht das Gesetz vor, dass alle Privatbetriebe in die Rechtsform überwechseln, als klassische Selbstständige arbeiten dann nur noch Geschäfte mit maximal drei Mitarbeitern.

Unter den bisher gegründeten KMU dominiert zur Zeit das verarbeitende Gewerbe. „Dazu zählen die Herstellung von Baumaterialien, Schuhen und Kleidung“, so Guitart. 19 Prozent der Betriebe widmen sich der Lebensmittelproduktion: von Konserven- über Süßwarenherstellern bis hin zu Milchverarbeitung und Käseproduktion ist praktisch die gesamte Bandbreite vertreten. Darüber hinaus gibt es eine große Zahl an Dienstleistern z.B. zur Reparatur von Autos, Computern und Elektrogeräten. Auch neue und innovative Vorhaben sind entstanden: so wollen in Havannas Stadtteil Cerro gleich mehrere Firmen eine E-Commerce-Plattform entwickeln, andere Betriebe versuchen im Bereich Importlogistik und Paketzustellung Fuß zu fassen. Der Startup-Inkubator an Havannas Informatikuniversität UCI brachte mit „AlaSoluciones“ ein Projekt zur Herstellung und Entwicklung von Drohnen für die Landwirtschaft hervor. Ein Beispiel für die Lebensmittelproduzenten ist die „Finca Marta“ in Artemisa. Das ökologische Landwirtschaftsprojekt hat die neue Rechtsform genutzt, um sich in der Sonderwirtschaftszone von Mariel zu etablieren und die dort ansässigen Unternehmen mit frischem Obst und Gemüse zu beliefern. Aus dem herstellenden Gewerbe berichteten Kubas Medien jüngst über das Unternehmen „D’Brujas“ aus Havanna, welches sich der Herstellung von Seifen und Kosmetikprodukten widmet und mehrheitlich von Frauen geführt wird.

Neue Akteure, alte Probleme

Probleme bereitet noch die Anmeldung im Handelsregister: Von den 1471 KMU, die bis zum 18. Januar genehmigt wurden, waren bis dahin erst 1000 gegründet und 885 im Handelsregister registriert. Wie die zuständige Funktionärin erläuterte, haben die staatlichen Notarbüros neues Personal eingestellt und Fortbildung in Handelsrecht durchgeführt, womit der Prozess künftig weniger „Nachlauf“ haben soll. Die Anbindung fast aller Notarbüros an das Internet war ein weiterer Nebeneffekt, da KMU-Anträge ausschließlich digital bearbeitet werden.

Auch bei den Finanzinstitutionen läuft nicht alles rund: „Man geht zur Bank um einen Kredit zu beantragen, und die Zinssätze stammen noch aus dem Jahr 2019, vor Covid und der Währungsreform“, schildert Ribe Sanguily, Inhaber der Elektroreparaturfirma „Espiral Soluciones“. Positive Erfahrungen vermeldet indes die Finca Marta: die Zusammenarbeit mit dem Telefondienstleister ETECSA und weiteren Staatsbetrieben verlaufe gut und „auf Augenhöhe“, die neue Gründerplattform des MEP funktioniere reibungslos. Andere berichten ebenfalls über Rückenwind aus dem Wirtschaftsministerium und nannten Probleme beim Außenhandel. Die Versorgung mit Rohstoffen und Zwischengütern ist nach wie vor die größte Schwierigkeit für KMU. Seit Herbst 2020 dürfen zwar ausgewählte Staatsbetriebe Importe und Exporte mit dem Privatsektor abwickeln, allerdings kommt die Unterzeichnung von entsprechenden Verträgen nur schleppend in Gang. „Der Erwerb von essentiellen Rohmaterialien aus lokaler Herstellung bereitet uns ebenso Probleme“, erklärte Cheila Sangüinety von D’Brujas. Ohne feste Lieferverträge gestalte sich die Vorausplanung der Produktion schwierig.

Das wirtschaftliche und institutionelle Umfeld, auf das die ersten KMU treffen, ist auf diese noch überwiegend unvorbereitet. Dabei steht der Prozess momentan ganz am Anfang und umfasst viele parallele Vorhaben, wie die Erweiterung der Autonomie der Staatsbetriebe oder die Reform der Landwirtschaft. Das Tempo der Veränderungen verläuft bislang wieder wie von Raúl Castro zu Beginn des Reformprozesses 2011 angekündigt „sin prisa, pero sin pausa“ (ohne Eile, aber ohne Pause), und damit kontinuierlicher als von manchen Beobachtern erwartet worden war. Zuletzt spornte Kubas Wirtschaftsministerium die Staatsbetriebe zu mehr Entscheidungsfreude beim Abschluss von neuen Verträgen an: Sämtliche Gesetze lägen vor und seien in Kraft, es bedürfe jetzt „keiner weiteren Indikation“ (von Seiten des Ministeriums), heißt es in einem Kommuniqué, das anders als üblich zuerst in der offiziellen Telegram-Gruppe des MEP für die neuen Akteure veröffentlicht wurde.

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2 Gedanken zu “Mehr als 1700 KMU genehmigt

  1. Um mal dem Eindruck entgegenzuwirken, auf Kuba würde nun alles schlagartig besser werden, Wunder aus dem Inland darf niemand erwarten, Investitionen aus dem Ausland schon gar nicht, denn Kuba hat erst kürzlich dokumentiert, dass es das Außenhandelsmonopol nicht aufgeben wird und es auch für den investitionssichernden Erwerb von Grundstücken keine Perspektive geben wird. Tja, ohne sinnvolles Geschäftsmodell gibt’s auch keine Investitionen. Die Katze beißt sich in den Schwanz.
    https://diariodecuba.com/economia/1643711796_37194.html

    1. Etwas zu widerlegen versuchen, was garnicht behauptet wurde, wirkt aus meiner Sicht Don-Quijote-haft.
      Wenn es nicht der rhetorische Trick sein soll, eine virtuelle Behauptung als eine konkrete erscheinen zu lassen, weil man sonst nichts zum Widerlegen hat …
      Bei mir ist durch den Artikel jedenfalls nicht der Eindruck entstanden, auf Kuba würde ’nun schlagartig alles besser werden‘ (auffällig diese Turbo-Attribute ’nun‘, ’schlagartig‘ und ‚alles‘). Auch der warnende Ausschluss von ‚Wundern‘, die ebenfalls niemand angekündigt hat, treibt sich irgendwo in der virtuellen Realität herum.
      Dagegen finde ich den Artikel erfrischend und ausschließlich sachlich mit objektiven Zahlen und Fakten, aus denen mE jede*r Unvoreingenommene und normal Vernunftbegabte schließen kann, dass mit den beschriebenen Maßnahmen und Erfolgen nicht alle wirtschaftlichen Probleme auf Kuba gelöst sind. Und dies auch nicht behauptet wird.

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