19. April 2024

Kuba öffnet Handel für ausländische Investoren

Kuba will ausländische Investoren im Groß- und Einzelhandel zulassen. Das gaben die Ministerien für Außen- und Binnenhandel im Rahmen einer Sondersendung am Montag bekannt. Damit soll „eine unmittelbare Wirkung auf die Versorgungslage und eine Verbesserung des Angebots in den Geschäften erreicht werden“, begründete die Vizeministerin für Außenhandel, Ana Teresita González, den weitreichenden Schritt. Seit den 1960er Jahren ist der Handel in dem sozialistischen Land Monopol des Staates.

Warenangebot trotz Devisenmangel

Ana Teresita González, Vizeministerin für Außenhandel (Quelle: Cubadebate)

Ausländische Unternehmen sollen sich demnächst am Großhandel beteiligen können und lokale Betriebe mit Rohstoffen, Zwischengütern und Ausrüstung beliefern. Im Einzelhandel liegt der Schwerpunkt auf Lebensmitteln, Hygieneprodukten und Systemen zur Erzeugung erneuerbarer Energien.

Darüber hinaus können ausländische Geschäfte und Joint-Ventures lokale Privatbetriebe, Genossenschaften und Staatsunternehmen unter Vertrag nehmen, um deren Produktion vorzufinanzieren. Anschließend können die Betriebe ihre Waren über die neuen Akteure im Groß- und Einzelhandel absetzen.

Damit sollen trotz des aktuellen Devisenmangels neue Zulieferstrukturen entstehen und die nationale Produktion angekurbelt werden, sagte die Vizeministerin. Die Stabilität der Lieferketten soll sich über die bereits erfolgte Einführung von Konsignationsverkäufen verbessern, bei denen die Ware schon vor Verkauf im Lagerhaus liegt bzw. nachbestellt wird. Verkäufe können sowohl in Pesos als auch in Devisen (auf Kuba „moneda libremente convertible“, MLC, genannt) erfolgen. Nach den Richtlinien der Ministerien wird der Großhandel primär in MLC arbeiten, die zusätzlichen Steuereinnahmen sollen für Investitionen zur Steigerung des Angebots in der Landeswährung genutzt werden.

Während im Bereich des Großhandels auch Niederlassungen mit 100 Prozent ausländischem Kapital möglich sind, wird der Einzelhandel restriktiver gehandhabt. „Dieser wird für Joint-Ventures mit staatlicher Beteiligung offenstehen, wobei wir langjährige Partner und Unternehmen aus befreundeten Ländern bevorzugen“, erklärte González. Der Handel werde auch in Zukunft überwiegend in staatlichen Händen liegen.

Ein weiteres Ziel ist die Erneuerung des umfangreichen, aber maroden Logistiknetzes. Wie Binnenhandelsministerin Betsy Díaz Velázquez erklärte, seien die mehr als 2300 Lager- und Gefrierhäuser aufgrund des Mangels zu wenig ausgelastet und benötigen Investitionen. Mit Hilfe ausländischer Partnerschaften soll ein Technologietransfer in Gang gesetzt werden, der neben Effizienzgewinnen auch den Erwerb neuer Management- und Marketingmethoden umfasst. Der bisher schlecht laufende elektronische Handel im Staatssektor soll mit Hilfe von Investoren ebenfalls ins Rollen gebracht werden.

Erleichterungen für KMU

Dofleini S.R.L“ hat im Oktober 2021 als erstes Privatunternehmen auf Kuba die neue Rechtsform angenommen (Quelle: Cubadebate)

Privatbetriebe und Genossenschaften werden erstmals direkten Zugang zum Außenhandel erhalten. Das war bislang nur über Verträge mit Staatsunternehmen möglich. Seit Herbst 2020 wurden in diesem Rahmen rund 14.000 Kontrakte mit einem Gesamtvolumen von 261 Millionen US-Dollar abgeschlossen. Künftig sollen die aktuell 4758 kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) unter Aufsicht des Ministeriums auch direkt mit ausländischen Partnern interagieren können.

Zunächst wird dies für Informatikunternehmen möglich sein. Dann folgen Betriebe, die sich dem Ausbau erneuerbarer Enerigien widmen. Der Schwerpunkt liegt auf den Exporteuren. Ein Beispiel ist das Unternehmen „Dofleini“. Die 2016 aus der staatlichen Desoft hervorgegangene Softwareschmiede zählt 51 Beschäftigte und kann mittlerweile auf weltweite Geschäftsbeziehungen verweisen. Dofleini verspricht sich mit der Autonomie in den Kundenbeziehungen, trotz bislang guter Zusammenarbeit mit Desoft, einen Schub im Abschluss neuer Verträge. Mit dem Wegfall eines Mittlers könnten Betriebe schneller agieren und damit ohne Handicap gegenüber der Konkurrenz auf dem Weltmarkt auftreten, sagt Dofleini-Gründer Carlos Miguel Pérez.

Nach Plänen des Außenhandelsminiseriums sollen Genehmigungen für Direktimporte selektiv und unter Berücksichtigung der sozialen Zielstellung und Geschäftsbilanz des jeweiligen Unternehmens erteilt werden. Interessierte Unternehmen müssen eine solide wirtschaftliche Grundlage vorweisen und ihre Waren zu günstigen Preisen auf dem Binnenmarkt anbieten, so González. Der Prozess wird im September beginnen.

Der direkte Zugang zum Außenhandel war ein Anliegen von KMU und Kooperativen, da der bisherige Weg über ausgewählte Staatsbetriebe oftmals mit bürokratischen Hemmnissen und Verzögerungen verbunden ist: Die Abwicklung des Außenhandels für Dritte zählt naturgemäß nicht zu den Prioritäten der primär mit ihrer eigenen Produktion betrauten Unternehmen. Das Thema der Großmärkte hingegen ist bereits seit 2011 eine offene Baustelle. Trotz mehrerer Anläufe war es den staatlichen Handelsunternehmen in der Vergangenheit nicht gelungen, ein funktionierendes Angebot zu schaffen – was viele Gewerbe dazu zwang, ihren Einkauf auf den stark unterversorgten Einzelhandel und den Schwarzmarkt zu verlagern.

Fehlendes Bindeglied

Wie die Vizeministerin erläuterte, seien die bisherigen Schritte auf diesem Gebiet „nicht ausreichend gewesen, um die wirtschaftlichen Probleme des Landes zu bremsen“. Die Öffnung des Handels ist Teil der 75 neuen Wirtschaftsmaßnahmen, die im Juli vom Parlament beschlossen wurden. „Wir befinden uns in einem komplexen Szenario, das uns zwingt, riskante Entscheidungen zu treffen, die von entsprechenden Kontrollmaßnahmen begleitet werden“, sagte González. Trotz einer leichten Erholung der Deviseneinnahmen fielen diese im ersten Quartal des Jahres noch immer fast 40 Prozent geringer aus als 2019, was den Spielraum für Investitionen und Importe stark einschränkt.

Auf Kuba sind die Maßnahmen Gegenstand von Debatten. Das staatliche Außenhandelsmonopol, Merkmal klassischer sozialistischer Volkswirtschaften, wurde von Raúl Castro auf dem vergangenen Parteitag im April 2021 als „rote Linie“ definiert, die im Rahmen des Reformprozesses nicht überschritten werden soll. Wie González betonte, werde der Staat den Außenhandel weiterhin „regulieren und kontrollieren“ und an seinem Monopol festhalten. Ökonomen kritisierten, dass die Maßnahmen nicht ausreichend in ein Gesamtkonzept eingebettet seien, sehr spät kommen und der Selektions- und Kontrollaspekt angesichts der Dringlichkeit der Lage zu sehr im Vordergrund stünde. Im kubanischen Fernsehen waren die die Reformen zuletzt Thema der neuen Wirtschaftssendung „Cuadrando la Caja“. Wie der Volkswirtschaftler Lazaro Peña von der Universität Havanna in dem Programm zu bedenken gab, dürfe sich das Ministerium bei der Kontrolle von Verträgen der KMU nicht in eine neue Bremse verwandeln, „da wir sonst wieder auf der Stelle treten“, so Peña.

In jedem Fall schafft die neue Handelspolitik ein notwendiges Bindeglied, um die angestrebte Verzahnung der verschiedenen Eigentumsformen zu erreichen und die im September 2021 gestartete Öffnung des Privatsektors in ökonomische Resultate zu übersetzen. Die Vorfinanzierung lokaler Betriebe könnte die Produktion trotz fehlender Bankkredite kurzfristig beleben. Damit soll der Weg eines wichtigen strategischen Ziels auf wirtschaftlichem Gebiet geebnet werden, nämlich die Regale über geschlossene Wertschöpfungskreisläufe nachhaltig mit heimischen Waren aufzufüllen, Fertigimporte zu ersetzen und die Rohstoffversorgung der kubanischen Wirtschaft zu verbreitern. Dafür müssten auch Großmärkte für Agrarbedarfsgüter entstehen, was laut den neuen Bestimmungen möglich ist. Ob die Auswirkungen der Novellierung wie geplant kurzfristig spürbar sein werden, bleibt abzuwarten und dürfte vom Rhythmus bei der Umsetzung erster Projekte trotz US-Sanktionen und bürokratischen Hürden abhängen. (Amerika21)

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Ein Gedanke zu “Kuba öffnet Handel für ausländische Investoren

  1. Auch diese Maßnahmen werden „nicht ausreichen, um die wirtschaftlichen Probleme des Landes zu bremsen“, um mal im Verharmlosungstenor der Vizeministerin zu bleiben.

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