Nach siebenmonatiger Unterbrechung erwartet Kuba wieder neue Treibstofflieferungen aus Venezuela. Wie die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf Dokumente des staatlichen venezolanischen Ölkonzerns PDVSA berichtet, wird derzeit ein mit 190.000 Tonnen Diesel beladenes Schiff für die Abfahrt nach Kuba fertig gemacht. Damit sollen Stromengpässe im Sommer verhindert werden, welche aufgrund der Brennstoffknappheit seit einigen Jahren gehäuft auftreten. Es wäre seit September die erste Diesellieferung aus dem befreundeten Land, das im Rahmen eines bilateralen Abkommens im Austausch gegen medizinische Dienstleistungen für den Großteil des Energiebedarfs der Insel aufkommt.
Strom oder Transport? Kubas aktuelle Energiesituation
Kuba hat im ersten Quartal des Jahres 70.000 Rohölbarrel pro Tag (bpd) importiert, rund ein Drittel unter dem Bedarf von 100.000 bpb und deutlich weniger als die 137.000 bpd, welche vor der Pandemie und der Sanktionswelle 2019 usus waren. Aufgrund zurückgegangener Lieferungen aus dem verbündeten Venezuela musste das sozialistische Land bereits ab 2016 vermehrt auf dem Weltmarkt zukaufen, wo die Preise zuletzt massiv gestiegen sind. Kubas wichtigster Lieferant ist dort Algerien. „Eine 40.000-Tonnen-Ladung Diesel, die letzten Monat mit 35 bis 36 Millionen Dollar bepreist war, kostet jetzt 58 Millionen Dollar“, machte Wirtschaftsminister Alejandro Gil deutlich. Hinzu kommen die Folgen der US-Sanktionen, welche die Logistikkosten für Kuba gegenüber dem marktüblichen Preis um 20 Prozent verteuern. Das für 2022 geplante Budget für Treibstoffimporte sei laut Gil bereits in den ersten beiden Monaten des Jahres um 49 Millionen US-Dollar überschritten worden.
Seit letztem September hat Kuba keinen Diesel oder anderen raffinierten Kraftstoff mehr aus Venezuela erhalten. Die Erdöllieferungen gingen von 44.000 bpd im Jahr 2020 auf 21.000 bpb zurück und haben sich dieses Jahr wieder auf 22.000 bpb leicht erhöht. Der Großteil des Erdöls wird in Schwerölkraftwerken für die Stromerzeugung genutzt. Die aus sowjetischer Zeit stammenden Kraftwerke kommen für 62 Prozent des Bedarfs auf und sind vor allem für die Grundlast essentiell. Im Zuge häufiger Havarien und steigender Nachfrage mussten jedoch zuletzt immer öfter die kleineren Dieselkraftwerke („Grupos electrógenos“) einspringen, welche im Rahmen der „Energierrevolution“ ab 2006 errichtet wurden. Diesel ist wesentlich teurer als Schweröl, weshalb bei seinem verstärkten Einsatz für die Elektrizitätserzeugung die Kraftstoffzuteilungen für Tankstellen gekürzt werden müssen. Die Abwägung lautet dann immer: Strom oder Transport? So geschehen zuletzt im März bei der Havarie des Kraftwerks „Antonio Guiteras“ in Matanzas, in deren Folge sich mehrere Tage lang Schlangen vor den Tankstellen bildeten. Erst diese Woche musste die „Guiteras“, seit ihrer Inbetriebnahme 1988 das leistungsstärkste und modernste Elektrizitätswerk des Landes, aufgrund eines erneuten Zwischenfalls für fünf Tage vom Netz gehen.
Um den Schwerölkraftwerken eine Verschnaufpause zu verschaffen, kommen neben den kleinen Anlagen an Land seit Mai 2019 mehrere schwimmende Kraftwerksschiffe aus der Türkei zum Einsatz. Sie machen mittlerweile rund 15 Prozent des Strommixes aus und verbrennen ebenfalls Dieselkraftstoff.
Mehr Planungssicherheit
Wie Reuters berichtet, wird der kubanische Tanker „Delsa“ zusätzlich zu den 190.000 Tonnen Diesel auch mit 200.000 Tonnen Schweröl befüllt. Möglich wurde der Anstieg der Liefermengen in Folge der allmählichen Erholung der venezolanischen Ölindustrie nach langjähriger Krise. Die steigenden Weltmarktpreise helfen dem Land dabei. In den Raffinerien hat sich die Rohölverarbeitung in den vergangenen Wochen bei 230.000 bpd stabilisiert, liegt damit allerdings noch deutlich unter der Kapazität von 1,3 Millionen bpd. Darüber hinaus haben die Vereinigten Staaten nach Jahren der Sanktionen Anfang März neue Gespräche über venezolanische Erdölimporte begonnen. Branchenexperten gehen davon aus, dass sich die Produktion damit in kurzer Zeit weiter steigern ließe. Ein Tauwetter, von dem auch Kuba profitiert.
Der einsetzende Aufschwung und die Rückkehr des Tourismus dürften den Energiebedarf der Insel in den kommenden Monaten weiter nach oben treiben. Öffentlicher Transport, Logistik und Individualverkehr laufen derzeit noch immer auf Sparflamme. Die Wiederaufnahme der Treibstofflieferungen aus Venezuela verschafft Kuba jetzt wieder mehr Planungssicherheit und Spielraum für die wirtschaftliche Erholung. Diesen Sommer, wenn sämtliche Klimaanlagen rotieren und der Stromverbrauch traditionell am höchsten ist, sollen Rationierungen weitgehend ausbleiben. Ob die venezolanischen Lieferungen auch für größere Sprünge reichen und sich der Transport spürbar verbessert, wird sich erst noch zeigen müssen. Eines steht jedoch fest: Zum ersten Mal seit sieben Monaten bringt die Delsa wieder gute Neuigkeiten aus Venezuela zurück auf die Insel.
Endlich mal lwieder eine vernunftige Information über Kuba. Danke Marcel.