Die Abgeordneten der kubanischen Nationalversammlung haben zur Umsetzung der neuen Verfassung des Landes mehrere Gesetze zur Arbeitsweise der Regierung beschlossen. Wirtschaftsminister Alejandro Gil lieferte einen Überblick über die laufenden Reformvorhaben und kündigte weitere Neuerungen an. Zum Abschluss der Tagung des Parlaments betonte Präsident Miguel Díaz-Canel die Erfolge im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Zugleich verurteilte er die jüngste Verschärfung der US-Blockade.
Vier neue Gesetze standen zur Diskussion, welche das Institutionengefüge des Landes regeln sollen. Sie definieren die Arbeitsweise von Präsident, Premierminister, Ministerrat und Gouverneuren gemäß der im April 2019 in Kraft getretenen Verfassung. Dort wurden unter anderem Amtszeitbeschränkungen von zwei Legislaturperioden für die Spitzen der Exekutive verankert. Mit Unterstützung von mindestens einem Drittel der Abgeordneten kann zukünftig ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten eingeleitet werden. Auch über die Aktualisierung der Bestimmungen zur Abberufung der Volksvertreter in den Gemeindeparlamenten und auf nationaler Ebene wurde abgestimmt. Darüber hinaus beschloss das Parlament ein neues Gesetz zur Arbeitsweise des diplomatischen Dienstes.
In Arbeitsgruppen wurden die zuvor bereits öffentlich zugänglichen Gesetzesentwürfe mit Wissenschaftlern verschiedener Institutionen diskutiert, Bürger konnten ihre Vorschläge per Email einreichen. Wie Außenminister Bruno Rodríguez vor der Abstimmung über das neue Diplomaten-Gesetz betonte, seien 24 der 38 Artikel in Folge der Aussprachen modifiziert worden. Auch andere Entwürfe erfuhren Änderungen. „Dies ist eine Erfahrung, die wir fortsetzen und weiter ausbauen müssen“, resümierte Díaz-Canel die erweiterte Beteiligung von Bürgern und Spezialisten an der Gesetzgebung.
In den Sitzungen erstatteten Regierungsvertreter gegenüber den Abgeordneten Bericht. Wirtschaftsminister Alejandro Gil erklärte, das Land habe in den vergangenen Monaten neben den Folgen der Covid-19-Pandemie gleichzeitig den Auswirkungen der US-Wirtschaftsblockade begegnen müssen. Seit 2019 seien mehr als 130 neue Sanktionsmaßnahmen durch die Regierung von US-Präsident Donald Trump hinzugekommen, die zusätzlich Schäden von mehr als fünf Milliarden US-Dollar pro Jahr verursachten.
Unter den erschwerten Umständen haben 250.000 der 630.000 Selbstständigen, zu denen vor allem private Gastronomen, Zimmervermieter und Transportdienstleister zählen, in den letzten Monaten ihre Lizenz zeitweise aufgegeben. „In diesem schwierigen Kontext können wir nicht so weitermachen wie bisher“, so Gil. Bei der Umsetzung der neuen Wirtschaftsstrategie, die im Juli vom Politbüro beschlossen wurde, seien in allen 16 Schlüsselbereichen Fortschritte erzielt worden.
Nach den neuen Regeln werden Staatsunternehmen künftig größere Autonomie erhalten und sollen sich mit dem Privatsektor verzahnen, der Zugang zum Außenhandel erhalten hat. Als nächstes soll dem Ministerrat eine umfangreiche Landwirtschaftsreform zum Beschluss vorgelegt werden, die regulatorische Kompetenzen auf die Ebene der Lokalregierungen verlagert und die Möglichkeiten zur Vermarktung von Lebensmitteln ausdehnt. Noch vor Jahresende sollen darüber hinaus neue Kredite und Finanzmittel, darunter auch ausländische Investitionen, für die Entwicklung der Landwirtschaft verfügbar gemacht werden.
Ab Ende November werden Staatsbetriebe zudem Hypotheken auf Immobilien aufnehmen können, die als Sicherheit für ausländische Investoren dienen, um den Zugang zu Krediten zu verbessern. Dazu hatte der Staatsrat zuvor bereits die Dekrete 14 und 15 beschlossen. Am 23. November treten die Novellierungen in Kraft.
Staatsbetriebe, kubanische Handelsgesellschaften und Joint Ventures können dann mit Autorisierung des Ministerrats Teile ihres Anlagevermögens, Immobilien und Dienstleistungen als Sicherheit für ausländische Investoren und Kreditgeber einsetzen. Nach vorheriger Risikoprüfung wird auch die Bildung von Finanzierungstrusts möglich. Falls die Schuldner ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, sieht die neue Gesetzeslage die Pfändung und Rückzahlung an den Gläubiger über die Einnahmen einer öffentlichen Auktion vor. Beim Rückkauf von Hypotheken auf Staatsbetriebe behält sich der Staat das Erstzugriffsrecht vor.
Die Novellierung des Hypothekengesetzes soll „neue Anreize für mehr Geschäftsmöglichkeiten“ schaffen. Die Beschlüsse sollen die Kreditwürdigkeit des Landes verbessern, indem das „Vertrauen und die Sicherheit von Investoren über ihre eingesetzten Kreditmittel bei der Geschäftsgründung“ erhöht werden.
Die Neuerung sieht die „Förderung der Nutzung von Sicherheiten für die ökonomischen Beziehungen von natürlichen und juristische Personen vor“, was auch die Ausweitung von Immobilienhypotheken einschließt, die bisher nur auf Ferien- und Freizeithäuser aufgenommen werden durften. Damit könnten Familien, welche bisher aufgrund geringer Einkommen keinen Zugang zu Krediten erhalten, ihr Haus als Sicherheit bei der Bank angeben. Zunächst soll das Gesetz jedoch nur für Unternehmen relevant sein.
Finanzministerin Meisi Bolaños Weiss stellte den Abgeordneten den Haushaltsbericht 2019 vor. Das Defizit lag demnach im vergangenen Jahr bei rund 6,2 Prozent des BIPs. Damit fiel das negative Saldo trotz der Lohnerhöhungen im Staatssektor etwas geringer als geplant aus. 67 Prozent der Staatsausgaben entfielen auf Bildung, Gesundheit und Subventionen. Die Steuereinnahmen stiegen um 3 Prozent. Der Anteil des Privatsektors legte um gut ein Fünftel zu und generierte damit im letzten Haushaltsjahr 14 Prozent der Staatseinnahmen und 19 Prozent des Steueraufkommens.
Die Corona-Pandemie habe in den vergangenen Monaten weltweit eine Konfrontation verschiedener politischer Paradigmen hervorgerufen, so Díaz-Canel in seiner Rede auf der Abschlusstagung. Dabei habe sich „der humane und gerechte Charakter des Sozialismus“ gezeigt. Trotz der „extremen und so noch nie dagewesenen Verschärfungen der Blockade“ habe Kuba anderen Ländern bei der Bekämpfung der Pandemie solidarisch zur Seite gestanden und dabei gleichzeitig das Virus im eigenen Land in Schach halten und seine Tödlichkeit reduzieren können.
Es sei angesichts der Pandemie und der schwierigen ökonomischen Situation notwendig, „das Tempo und die tiefgreifenden Veränderungen“ im Rahmen der neuen Wirtschaftsstrategie zu beschleunigen, wobei so viel wie möglich noch in diesem Jahr angestoßen werden solle, betonte er.
Die nächste Sitzung des Parlaments wird im Dezember stattfinden. Dort sollen neben dem Haushaltsentwurf für 2021 weitere Gesetzesvorhaben beschlossen werden.
Die Nationalversammlung hat vergangene Woche von Donnerstag bis Sonntag zum ersten Mal in virtueller Form getagt. Unter Beachtung der Abstandsregeln konnten nur 225 der 590 Parlamentsabgeordneten physisch an der ersten Sitzung seit Beginn der Corona-Pandemie teilnehmen, unter ihnen befand sich auch KP-Generalsekretär Raúl Castro. Die übrigen waren in mehreren Kleingruppen per Videokonferenz zugeschaltet. (A21)
„Ab Ende November werden Staatsbetriebe zudem Hypotheken auf Immobilien aufnehmen können, die als Sicherheit für ausländische Investoren dienen, um den Zugang zu Krediten zu verbessern.“
Wer einmal mitbekommen hat, dass das Haus eines Deutsch-Kubaners enteignet wurde, vermutlich weil er zu viel Kritik am politischen System geübt hat, den dürften solche Sicherheiten eher nicht beeindrucken. Gibt es denn in der neuen Verfassung wenigsten sowas wie Eigentumsschutz?
Ja, der Schutz von Privateigentum ist in der neuen Verfassung verankert.