26. April 2024

Milch für Kinder: Kuba bittet Welternährungsprogramm um Hilfe

Wie die Nachrichtenagentur EFE berichtet, hat Kuba erstmals das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) bei der Lieferung von Milchpulver für Kinder um Unterstützung gebeten. Die UN-Organisation, welche bereits Milchpulver nach Kuba schickt, hat gegenüber der Agentur den Eingang eines entsprechenden Gesuchs der kubanischen Regierung bestätigt. „Wir bestätigen, dass das Welternährungsprogramm eine offizielle Mitteilung der (kubanischen) Regierung erhalten hat, in der diese um Unterstützung für die Fortsetzung der monatlichen Lieferung von 1 Kilogramm Milch an Kinder unter 7 Jahren im ganzen Land bittet“, schrieb die WFP-Delegation auf der Insel.

Das UN-Programm sprach in dem Schreiben von einem „dringenden Bedarf“ und unterstrich „die Bedeutung dieses Ersuchens“, insbesondere im Zusammenhang mit der „schwerwiegenden Wirtschaftskrise, mit der Kuba konfrontiert ist“, die sich „erheblich auf die Nahrungsmittel- und Ernährungssicherheit der Bevölkerung“ auswirkt.

Auf Kuba herrscht seit mittlerweile vier Jahren eine der schwersten Wirtschafts- und Energiekrisen seiner Geschichte, die in Folge der Corona-Pandemie und neuer US-Sanktionen ausgelöst wurde. Ein großes Problem sind die anhaltenden Strukturprobleme der Wirtschaft, die auch durch die immer wieder verzögerten Reformen nicht gelöst werden konnten. Zwar hat sich das Angebot mit der Öffnung neuer privater Geschäfte inzwischen massiv verbessert, seit der Währungsreform 2021 gelang es der Regierung allerdings nicht, die Inflation auf der Insel einzudämmen, was die Kaufkraft der Einkommen empfindlich geschmälert hat. Die stark subventionierte Grundversorgung über das staatliche Bezugsheft „Libreta“, in deren Rahmen alle Kinder unter sieben Jahren Milchpulver zugeteilt bekommen, stellt aufgrund der hohen Importquote für den Staat inzwischen eine große Herausforderung dar. Die landwirtschaftliche Produktion erlebte in den letzten Jahren einen herben Einbruch, mittlerweile müssen fast 100 Prozent der Lebensmittel für die „Libreta“ eingeführt werden. Wie Binnenhandelsministerin Betsy Velazquez erklärte, benötigt das Land jeden Monat 2200 Tonnen Milchpulver, dessen Erwerb sich zuletzt „aufgrund finanzieller Beschränkungen und der US-Wirtschaftsblockade“ verzögert hat.

Der Hilfsgesuch an die Vereinten Nationen stellt ein Novum dar. Es ist das erste Mal, dass Kuba das Welternährungsprogramm um Unterstützung bittet. Kubanische Medien haben über den Vorgang bisher nicht berichtet. Am Freitag gab jedoch Kubas neuer Minister für Lebensmittelindustrie Alberto López Díaz (der sein Amt erst vor wenigen Wochen angetreten hat) bekannt, dass die Versorgung für die Monate März und April aufgrund neuer Lieferungen aus Brasilien sichergestellt werden könne.

Trotz der schwersten Krise seit drei Dekaden ist die Ernährungssituation weniger kritisch als zu Hochzeiten der Sonderperiode in Folge der Auflösung der Sowjetunion, 1993/94. Obwohl die Kalorienversorgung für große Teile der Bevölkerung damals auf bedenklich kritische Werte sank, folgte keine Bitte um Unterstützung an das Welternährungsprogramm. Warum also gerade jetzt die Anfrage an das WFP?

Kuba leistet seit der Revolution 1959 humanitäre Hilfe in anderen Ländern und gilt in dieser Hinsicht als Vorbild für den Globalen Süden. Während der Corona-Pandemie waren kubanische Ärzte sogar in Italien im Einsatz. Auch kann sich Kuba rühmen, trotz aller Krisen und Probleme basale soziale Errungenschaften wie kostenlose Bildungs- und Gesundheitsversorgung aufrechtzuerhalten, wenn auch in stark eingeschränkter Form. Das sozialistische Land gilt als der erste Sozialstaat Lateinamerikas. Das erbeten von humanitärer Hilfe für die eigene Bevölkerung ist entsprechend keine Sache, die man in Havanna gern an die große Glocke hängt. Zudem besteht die Befürchtung, dass der Gesuch sofort als Steilvorlage von US-Medien und Dissidentengruppen aufgegriffen wird, die 2021 teilweise eine militärische „humanitäre Intervention“ forderten. US-Präsident Joe Biden bezeichnete Kuba im unmittelbaren Nachgang der damaligen Proteste als „failed state“, ein Schlag in die Magengrube, der trotz neuer Gespräche mit Washington noch immer tief sitzen dürfte.

Die Anfrage lässt sich daher nicht nur als Folge der kritischen Ernährungssituation, sondern auch als Ausdruck von mehr Pragmatismus der kubanischen Regierung im Umgang mit der Krise deuten: Sie war eine der ersten Amtshandlungen des neuen Ministers, der sich genau wie sein Vorgänger für die Aufrechterhaltung der Grundversorgung von Monat zu Monat, von Schiffsladung zu Schiffsladung hangeln muss. Gut möglich, dass das auch weiter so funktioniert hätte. Bisher liefert das Welternährungsprogramm nur sechs Prozent des landesweiten Milchpulverbedarfs für die Grundversorgung. Die Regierung plant jedoch dieses Jahr umfangreiche Strukturreformen und braucht dringend Investitionsmittel, um die Wirtschaft anzukurbeln. Auch die Grundversorgung über die „Libreta“ soll neu gestrickt und nur noch für vulnerable Gruppen stark subventioniert werden. Kurzfristige Produktionssteigerungen der heimischen Landwirtschaft sind indes nicht in Sicht. Eine Ausweitung der humanitären Hilfe könnte helfen, mehr Handlungsspielraum für die anstehenden Reformen freizuschaufeln. Nach all den humanitären Missionen in Drittstaaten sollte es für Kuba denn auch nüchtern betrachtet keinen Grund für Ehrenrühigkeit beim erbeten von Hilfe geben.

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