Mit ruhiger Stimme verlas der Sprecher der kubanischen Abendnachrichten eine Meldung, die in Kuba einschlug wie eine Bombe: Gegen den ehemaligen Wirtschaftsminister Alejandro Gil wird ermittelt. Ihm werden „schwere Fehler“ bei der Ausübung seiner Funktionen vorgeworfen, heißt es in einer von Präsident Miguel Díaz-Canel unterzeichneten Note.
Gil war am 2. Februar, zusammen mit anderen Ministern, von seinem Amt zurückgetreten. Wenige Tage später gratulierte ihm Díaz-Canel auf X zum Geburtstag. Was zunächst aussah wie eine normale Kaderrotation, nimmt jetzt eine andere Richtung. Die nicht näher genannten Vorwürfe seien Ergebnis einer „rigorosen Untersuchung“. Das Innenministerium wurde angewiesen, die Ermittlungen aufzunehmen. „Als Teil der unveränderlichen Ethik der kubanischen Revolution während dieser 65 Jahre hat die Führung unserer Partei und Regierung niemals die Ausbreitung von Korruption, Täuschung und Gefühllosigkeit zugelassen und wird dies auch niemals tun“, heißt es in dem Kommuniqué, das am Donnerstagabend veröffentlicht wurde.
Weiter heißt es darin: „Von Beginn dieses Verfahrens an hat der Betroffene die schweren Vorwürfe eingeräumt und ist daraufhin als Mitglied des Zentralkomitees der Partei und als Abgeordneter der Nationalversammlung der Volksmacht zurückgetreten“.
Alejandro Gil fungierte seit 2018 als Wirtschaftsminister der Insel, im selben Jahr als Díaz-Canel sein Amt als Präsident antrat. Er war in dieser Rolle auch für die Durchführung der Währungsreform 2021 zuständig, die nicht zuletzt aufgrund ihres Timings inmitten einer schweren Liquiditätskrise als Fehlschlag gilt. Während dieser Zeit traten beide oft zusammen auf und wirkten wie ein eingespieltes Team. Díaz-Canel kündigte vergangenes Jahr eine „Untersuchung der Fehler“ der Währungsreform an. Ihr Chefarchitekt Marino Murillo, der vor Gil ebenfalls das Wirtschaftsministerium leitete und später für die Konzipierung der Maßnahmen zuständig war, wurde bereits im April 2021 aus dem Politbüro entfernt. Gil erklärte bis zuletzt in zahlreichen öffentlichen Auftritten die Wirtschaftspolitik der Regierung. Der studierte Ingenieur galt als bodenständig und zeigte sich auch inmitten der Krise stets optimistisch, was in der Bevölkerung nach anfänglicher Sympathie zunehmend zu einem Ansehensverlust geführt hat. Inhaltlich galt er als Befürworter der laufenden Reformen, die ab 2021 zugelassenen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) des Privatsektors hat er „in seinen Reden bis zum äußersten verteidigt“, sagt der Ökonom Omar Everleny über ihn. Dass Gils Absetzung mit einer inhaltlichen Kehrtwende der Wirtschaftspolitik verbunden sein wird, scheint jedoch angesichts der im Dezember angekündigten Maßnahmen, die vom Ministerrat zuletzt bekräftigt wurden, unwahrscheinlich.
Öffentliche Anschuldigungen gegen führende Kader sind eine Seltenheit in Kuba. Die Ermittlungen gegen Gil sind die ersten gegen ein Zentralkomiteemitglied seit 15 Jahren. Zuletzt sorgten 2009 die Absetzung von Ministerratssekretär Carlos Lage und Außenminister Felipe Pérez Roque, denen ebenfalls Fehlverhalten vorgeworfen wurde, für Aufsehen. In Folge des Schritts werde mit „einer neuen Propagandakampagne gegen Kuba“ gerechnet, heißt es abschließend in der Note.
Update (13.03): In den sozialen Netzwerken sehen einige in Gil ein Bauernopfer für die schlechte Wirtschaftsperformance der vergangenen Jahre. Unbestätigten Berichten zu Folge könnten die Vorwürfe gegen Gil mit der offenbar wenige Tage zuvor erfolgten Verhaftung des Unternehmers Fernando Javier Albán zu tun haben. Albán gründete 2021 den Safthersteller Media Luna. Ursprünglich als semistaatliches Lokalentwicklungsprojekt geplant, entwickelte sich Media Luna zum ersten KMU der Provinz Ciego de Ávila, wobei Gil von der Umwandlung in ein Privatunternehmen profitiert haben soll, berichtet der in Miami erscheinende „El Nuevo Herald“. „OnCuba“ stellt die Causa Gil in den Kontext einer breiter angelegten Antikorruptionskampagne nachdem Díaz-Canel Ende Februar „Null Toleranz“ gegenüber Korruption auf allen Ebenen angekündigt hatte. Zeitgleich fand auch die Unterzeichnung eines neuen Ethikkodex für staatliche Kader statt. Der Journalist José Miguel Solís vom staatlichen Sender „Radio Rebelde“ berichtete jüngst, dass allein in der Provinz Matanzas in den vergangenen 12 Monaten ein Dutzend Kader aufgrund von Missmanagement von ihren Ämtern entbunden worden seien.