28. März 2024

Corona-Update (27): Die Ruhe nach dem Sturm

Die inzwischen vorliegenden Daten zur Übersterblichkeit im Jahr 2021 zeigen, wie schwer die Überlastung des Gesundheitswesens im vergangenen Sommer tatsächlich ausfiel. In diesem Jahr entwickelte sich die Corona-Situation jedoch gänzlich anders: Mit der Aufhebung der allgemeinen Maskenpflicht konnte im Mai die letzte große Interventionsmaßnahme aufgehoben werden, trotzdem dürfte das Jahr mit einstelligen Inzidenzwerten zu Ende gehen. Grundlage für das nachhaltige Ergebnis war vor allem die Beharrlichkeit beim Impfen, die sich im Laufe dieses Jahres in Form einer zweiten Boosterkampagne gezeigt hat. Dennoch ist die Pandemie auch auf Kuba noch nicht vollständig überstanden. Zuletzt stiegen die Fallzahlen wieder leicht an. Das Gesundheitsministerium mahnte für die Feiertage zur Vorsicht und empfiehlt das Tragen einer Maske im ÖPNV und bei Menschenansammlungen.

  • Bis zum 8. Dezember wurden auf Kuba insgesamt 1.111.518 Personen positiv auf SARS-CoV-2 getestet+34 zum Vortag, darunter 16 in Holguín, 6 in Havanna und 4 in Matanzas. 8530 Personen sind an den Folgen des Virus gestorben, seit einigen Monaten sind keine Todesfälle hinzugekommen. Bei 16 Personen liegt die Ansteckungsquelle im Ausland, 14 waren Kontaktpersonen von diagnostizierten Fällen. Die Anzahl der aktiven Fälle liegt bei 78, niemand wird derzeit wegen Covid intensivmedizinisch behandelt. Die Fallsterblichkeit ist mit 0,77 Prozent gleich geblieben. Die dominierenden Varianten sind mittlerweile die Omikron Subtypen BA.4 und BA.5.
  • Auch nach Aufhebung der Maskenpflicht im Mai gingen die täglich gemeldeten Neuinfektionen lange Zeit immer weiter zurück. Zwischen Juli und Ende August kam es zu einem leichten Anstieg der Inzidenz, der in der Folge wieder abflachte. Seit der letzten Woche sind die Fallzahlen wieder am steigen, allerdings von einem extrem niedrigen Niveau ausgehend. Schon seit Monaten wurden keine Todesfälle mehr gemeldet, die laufenden Boosterkampagnen scheinen hier ihren Dienst zu erfüllen. Insgesamt lässt sich die Corona-Lage auf Kuba derzeit als ausgesprochen gut bezeichnen. Damit dies so bleibt, ruft das Gesundheitsministerium dazu auf, bei den Feiern zum Jahreswechsel vorsichtig zu sein und bei Personenansammlungen und im ÖPNV die Maske zu benutzen. Personen mit Atemwegssymptomen sollen Arbeit oder Schule fernbleiben und sich zu Hause isolieren, so die Empfehlung. „Die Stabilität und Erleichterung, die wir mit der erfolgreichen Kontrolle der Pandemie genießen, müssen wir erhalten“, mahnte Premierminister Manuel Marrero bei der jüngsten Sitzung des Gesundheitsstabs.
  • Die 7-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner ist seit dem letzten Corona-Update von 8,01 (25. Juli) auf 1,35 (9. Dezember) gefallen und stieg zuletzt wieder an. Die Anzahl der durchgeführten PCR-Tests wurde von 6425 pro Tag auf 11.237 aufgestockt.

Impfkampagne

Kubas Boosterkampagne im internationalen Vergleich (Quelle: OWID)
  • Bis zum 7. Dezember haben 95,5 Prozent der KubanerInnen mindestens die Erstimpfung erhalten. Vollständig geimpft sind 90,3 Prozent. Damit liegt Kuba bei der Corona-Impfung weltweit an erster Stelle, auf dem zweiten Platz folgt Portugal. Insgesamt wurden bislang 42,5 Mio. Impfdosen verabreicht. Nach dem Start der Auffrischungsimpfungen vor einem Jahr sind mittlerweile 77,2 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal geboostert. Im Mai wurde eine zweite Boosterkampagne (5. Impfung) für Personen ab 50 Jahren begonnen, die zu gegebener Zeit auf weitere Bevölkerungsteile ausgeweitet wird.
Fallzahlen und Todesfälle in Havanna: Vergleich der Modelle mit den realen Daten der Impfkampagne (Quelle: Lancet)
  • Zweite „Abdala“-Studie in „The Lancet“ erschienen: Nach einer ersten sicherheitsbezogenen Grundlagenstudie im April ist im September eine zweite Studie des kubanischen Vakzins „Abdala“ in der renommierten medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ erschienen. Die Kohortenstudie (PDF) umfasst Daten von 1,35 Millionen Impflingen im Zeitraum Mai bis August 2021 während der Delta-Welle. Darin wird dem Vakzin eine „hohe Wirksamkeit bei der Verhinderung von Todesfällen und schweren Erkrankungsverläufen unter realen Bedingungen“ bescheinigt. Der Schutz vor schweren Verläufen und Tod betrug jeweils >90 Prozent.
  • Fortschritte bei WHO-Zulassung: Das Zertifizierungsverfahren für den kubanischen Impfstoff „Abdala“ hat weitere Fortschritte gemacht. Nach Einreichung und erfolgreichen Prüfung der Dossiers wurde am 7. Juni ein Rolling-Review-Verfahren bei der WHO aufgenommen, das noch andauert. Damit befindet sich der Impfstoff momentan in einem fortgeschrittenen Prüfungsstadium. Für die Vakzine „Soberana 01“, „Soberana 02“ und „Soberana Plus“ wurden bislang noch keine Daten eingereicht.
  • US-Forscher besuchen Kubas Biotechindustrie: Im Rahmen einer Forschungsreise der NGO MEDICC, die sich dem medizinischen Austausch zwischen Kuba und den USA verschrieben hat, konnte im Juni eine renommierte US-Forscherdelegation die kubanischen Impfstoffhersteller besuchen. Vertreten waren führende Wissenschaftler und Behördenleiter aus Public Health und Medizin. Ein Bericht ist mittlerweile in der Fachzeitschrift MEDICC-Review erschienen. Darin wurde unter anderem die frühe und umfassende Impfung von Kindern und Jugendlichen in Kuba (Impfquote von 97% in der Altersgruppe 2-18) als erfolgversprechender Ansatz der Pandemiebekämpfung hervorgehoben. Als Problem wurde die langsame Publikation von Forschungsergebnissen in englischsprachigen Fachjournals benannt. Es wurde empfohlen, Forschende zu schnelleren Publikationen zu ermutigen und mit einem Mentoringprogramm für Unterstützung zu sorgen.

Kuba veröffentlicht Daten zur Übersterblichkeit 2021

Übersterblichkeit und gemeldete Covid-Tote 2020 bis 2022 auf Basis des demographischen Jahrbuchs. Daten ab 2022: Modellierung (Quelle: OWID)
  • Mit der Veröffentlichung des demographischen Jahrbuchs 2021 im Juni bot sich erstmals ein genaueres Bild der verheerenden Delta-Welle vom vergangenen Sommer. So hat sich die Sterblichkeit zwischen Juni und Juli auf 18.450 Personen fast verdoppelt, im August wurde der Rekord von 28.655 erreicht, bevor die Sterbezahlen wieder zurückgingen. Zum Vergleich: im August 2019 starben auf Kuba 9419 Personen. Die Übersterblichkeit liegt, wie auch in anderen Ländern mit begrenzter Meldekapazität, deutlich über den gemeldeten Covid-Todeszahlen. Letztere wurden auf Kuba ohnehin nach einem konservativen Reporting-Schema erfasst (ähnlich dem der skandinavischen Länder). Welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus ableiten?
    1. Während die Pandemie bis zum Frühsommer 2021 gut unter Kontrolle war, hat der zeitweise Kollaps des Gesundheitssystems im Sommer 2021 die Todeszahlen in kurzer Zeit massiv nach oben schnellen lassen. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Überlastung des Systems auch zu zahlreichen nicht-Covid-bezogenen Todesfällen geführt hat und das Reporting an seine Grenzen gelangte.
    2. Der schnelle Rückgang der Mortalität mit dem zeitgleichen Ausrollen der Impfkampagne hat die Wirksamkeit der kubanischen Impfstoffe gegen die Delta-Variante in der Praxis erfolgreich unter Beweis gestellt.

Weitere Entwicklungen

  • Mexiko kauft 4 Millionen Impfdosen: Wie die mexikanische Zeitung „El Financiero“ berichtet, ist vor wenigen Tagen eine Bestellung von vier Millionen Impfdosen des kubanischen Abdala-Vakzins in dem südamerikanischen Land eingetroffen. Im Mai dieses Jahres kündigte Präsident Andrés Manuel López Obrador an, dass der Abdala-Impfstoff in der Impfkamapgne für Kinder unter 11 Jahren verwendet werden soll. Letztes Jahr erteilte Mexikos angesehene Zulassungsbehörde Cofepris „Abdala“ eine Notfallzulassung. Am 19. November wurde auch die Soberana-Impfstofffamilie in Mexiko zugelassen.
  • Der Tourismus: kommt langsam aber sicher wieder in Fahrt. Ab Herbst 2021 wurde in Kuba ein schrittweiser Lockerungsfahrplan in Kraft gesetzt, der von der Öffnung der Grenzen, über Gastrononomie und Nachtklubs bis hin zur Rückkehr von Großveranstaltungen in der zweiten Jahreshälte 2022 reichte. Mehr als 40 Fluglinien haben ihre Verbindungen nach Kuba wieder aufgenommen. Laut den letzten Zahlen der Statistikbehörde ONE zählte das Land bis Oktokber 1,7 Millionen internationale Gäste. Aufs Jahr gerechnet etwa die selbe Besucherzahl wie Anfang der 2000er Jahre, bei der Erholung des Tourismus steht Kuba weiter hinter den karibischen Nachbarländern zurück. Wichtigste Hemmnisse sind die Energie- und Wirtschaftskrise.
  • Neue Mittel für Biotechindustrie: Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) hat Kuba einen Kredit in Höhe von 46,7 Millionen Euro für die Herstellung von Medizinprodukten zu Verfügung gestellt. Die Mittel sollen für den Ausbau der Infrastruktur zur Herstellung von injizierbaren Antibiotika, parenteralen Lösungen (Seren), generischen und biosimilaren Arzneimitteln, Diagnostika und medizinische Ausrüstung genutzt werden. Ein Teil der Gelder wird für die Behandlung von Covid-Patienten und anderen Infektionskrankheiten sowie für die Anschaffung von Schutzausrüstung genutzt.
  • Dengueinzidenz rückläufig: Für die meiste Zeit dieses Jahres stellte Dengue auf Kuba eine größere Herausforderung als Corona dar. Die Virusinfektion wird über Moskitos übertragen und kann üble Verläufe nach sich ziehen. Im Verdachtsfall sollte man unverzüglich einen Arzt aufsuchen. Kuba hat umfangreiche Erfahrugen im Umgang mit Dengue, über die Reinigung von Zisternen und Begasungskampagnen („fumigación“) kann den Moskitos zu Leibe gerückt werden. Seit Oktober ist die Dengue-Inzidenz in allen Provinzen rückläufig und fiel zuletzt sechs Wochen hintereinander.
  • Gut gealtert: ist der Song zur Impfkampagne von Buena Fé, mit dem vor anderthalb Jahren der Beginn der Massenimpffung eingeleitet und eine Rückkehr zur Normalität in Aussicht gestellt wurde.

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