28. März 2024

Parlament beschließt Justizreform und diskutiert Wirtschaftslage

Nachdem die Sommersitzung des kubanischen Parlaments in diesem Jahr pandemiebedingt verschoben wurde, traf sich Kubas Nationalversammlung Ende Oktober drei Monate später als geplant. Dabei beschlossen die Delegierten die umfangreichste Justizreform seit den 1970er Jahren und richteten zugleich ihren Blick auf die angespannte Versorgungslage. Wirtschaftsminister Alejandro Gil nahm Stellung zur steigenden Inflation und gab neue Konjunkturdaten bekannt, während Präsident Miguel Díaz-Canel bei seiner Rede auf der Schlusstagung die Lage der Nation skizzierte. Raúl Castro, der inzwischen keine Staats- und Parteiämter mehr bekleidet, nahm als Abgeordneter an der Sitzung teil. Die wichtigsten Details im Überblick:

Rede von Präsident Miguel Díaz-Canel auf der Schlusstagung vom 28. Oktober

  • Zu Beginn seiner Rede ging Kubas Präsident auf die schwierige wirtschaftliche Situation ein, welche sich durch die Verschärfung der US-Sanktionen und Pandemie weiter zugespitzte. Kubas Wirtschaft habe sich jedoch „schon seit 2019 in einer außerordentlichen Lage befunden“. Mit Beginn der Pandemie seien jährliche Zusatzausgaben von 300 Millionen US-Dollar im Gesundheitswesen entstanden. Die Versorgungskrise betreffe neben der Knappheit an Lebensmitteln und Medikamenten auch die Energieversorgung. Durch den Mangel an Devisen seien die Mittel für den Betrieb der Grundlastkraftwerke auf ein Minimum reduziert worden, weshalb es seit Juni wieder regelmäßig zu Stromabschaltungen kam. Der staatliche Stromversorger UNE informiert inzwischen fast im Tagesrhythmus über anstehende Abschaltungen und den Status der Kraftwerke. Treibstoff sei genug vorhanden, doch die sowjetischen Schwerölkraftwerke haben teilweise bis zu 50 Jahre auf dem Buckel und laufen seit Jahren auf Verschleiß. Ein eiligst aufgelegtes Wartungsprogramm soll die Elektrizitätsversorgung zum Jahresende stabiler werden lassen. Wie fragil die Kraftwerkssituation tatsächlich ist, war lange Zeit nicht bekannt. Díaz-Canel hat hier scheinbar von seinem Vorgänger kein einfaches Erbe übertragen bekommen.
  • Eine der Hauptaufgaben der Regierung bestehe derzeit in der Bekämpfung der Inflation. Die Nachfrage übersteige das vorhandene Angebot der Wirtschaft bei weitem, weshalb die Preise auf dem Schwarzmarkt seit Beginn der Währungsreform im Januar teilweise um den Faktor 10 zugelegt haben. Dessen Bedeutung hat aufgrund des Mangels in den staatlichen Kanälen zugenommen. Mit der Reform des Staatssektors, der Landwirtschaftsreform, der Öffnung des Privatsektors und der Beseitigung von Hemmnissen, damit alte wie neue Wirtschaftsakteure untereinander in Beziehung treten können, sollen die Grundlagen für mehr Produktion gelegt werden, stellte Díaz-Canel in Aussicht. Im kommenden Wirtschaftsplan 2022 sollen darüber hinaus konkrete Schritte für weitere Dezentralisierung enthalten sein. Öffentliche Fonds müssten stärker in lokale und stadtteilbezogene Projekte eingebunden werden.
  • Mit Blick auf die für den 15. November angekündigten Proteste übte Kubas Präsident Kritik an der Biden-Administration: Die US-Botschaft würde derzeit eine „zunehmende Rolle bei subversiven politischen Bestrebungen“ spielen. „Gegen ein sozialistisches Projekt wie das unsrige sind gewaltsame oder kriegerische Aktionen, Invasionen und Besatzungen nie ausgeschlossen; aber an erster Stelle wird auf Demoralisierung und Kapitulation gesetzt“, so der 61-jährige, der im April das Amt des KP-Generalsekretärs von Raúl Castros übernommen hatte.
  • Noch immer seien sämtliche Wirtschaftssanktionen aus der Trump-Ära in Kraft: „Die Blockade ist nicht nur eine Strafe für unseren Widerstand. Auf diese Weise wird täglich verhindert, dass Sozialismus mit Wachstum, Fortschritt und Wohlstand assoziiert wird“, äußerte Díaz-Canel.
  • Kuba werde ungeachtet der widrigen Bedingungen an seinem Entwicklungsplan bis zum Jahr 2030 festhalten und seine Wirtschaft schrittweise effizienter machen, was als Voraussetzung für das angestrebte Modell eines „prosperierenden und nachhaltigen Sozialismus“ betrachtet wird. Als Beispiele für das in diesem Jahr erreichte nannte Díaz-Canel: Die Gründung eines nationalen Innovationsrats (der künftig auf allen Ebenen in Staat und Wirtschaft operieren und die Ergebnisse von Forschung und Wissenschaft in die politische und ökonomische Praxis überführen helfen soll); mehr als 60 Einzelmaßnahmen zur Förderung von Lebensmittelproduktion und Handel sowie die Einführung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU).
  • Die von den Abgeordneten beschlossene Justizreform (siehe unten) befördere Kubas Justizwesen auf den aktuellen Stand der globalen Entwicklungen und soll das in der neuen Verfassung verankerte Prinzip der sozialistischen Rechtsstaatlichkeit implementieren. Die Umsetzung der 2019er Verfassung wird gemäß dem beschlossenen Zeitplan weiter fortgesetzt, kündigte der Präsident an.
  • Ausführlich ging Díaz-Canel auf die laufende Erneuerung des 1976 etablierten Systems der Volksmacht („Poder Popular“) ein, „dessen Reserven und Potentiale einen großen Beitrag“ leisten könnten. Im Rahmen der 2019 in Kraft getretenen neuen Verfassung sollen Gemeinden und Provinzen mehr Autonomie und Kompetenzen erhalten. Die bislang auf nationaler Ebene erfolgenden Referenden können künftig auch auf lokaler Ebene stattfinden. Die Volksmacht sei in Kuba „mit Großbuchstaben geschrieben, genuin und echt“. Für ihre Stärkung sei es jedoch notwendig, „neue Arbeitsstile zu praktizieren, die der Heterogenität der heutigen kubanischen Gesellschaft entsprechen“. In Bezug auf die Rolle der Kader hob er das Prinzip des Dienstes an der Allgemeinheit („servidor público“) hervor. Die Initiative der Bevölkerung müsse „auf bewusste und organische Weise im politischen System umgesetzt werden und dürfe nicht in Formalismus versanden oder an der Unbeweglichkeit lokaler Organe scheitern. Der Maßstab bleibe stets eine Gesellschaft mit dem größtmöglichen Grad an sozialer Gerechtigkeit.

Aktelle Wirtschaftslage

Rechenschaftsbericht von Wirtschaftsminister Alejandro Gil am 27. Oktober (Quelle: Cubadebate)
  • Wirtschaftsminister Alejandro Gil gab auf der Sitzung neue Infos zur Lage der Volkswirtschaft bekannt. So verzeichnete die Insel von 2020 bis zum 30. September dieses Jahres einen BIP-Rückgang von insgesamt 13 Prozent. Ein „wirklich harter Schlag“, wie der Minister erklärte, und die schwerste Wirtschaftskrise seit den 1990er Jahren. Der Rückgang allein im Jahr 2020 lag bei 10,9 Prozent. Für den Rest des Jahres geht die Regierung von einem leichten Wachstum von 2,2 Prozent aus, das laut jüngster Einschätzung der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika (CEPAL) im kommenden Jahr auf 4,1 Prozent anziehen soll.
  • Die Staatseinnahmen lagen bis Ende September bei 2 Mrd. US-Dollar, 40 Prozent unter dem diesjährigen Plan. Damit hat das Land zum zweiten Jahr in Folge mit drastischen Einnahmeausfällen zu kämpfen, die vor allem auf das pandemiebedingte Ausbleiben des Tourismus zurückzuführen sind: statt der geplanten zwei Millionen Touristen besuchten bis Ende Juli nur 270.000 Personen die Insel. Bis zum Jahresende sollen es eine halbe Millionen werden. Der Fremdenverkehr müsse „so schnell wie möglich“ wieder auf die Beine kommen, mahnte Gil.
  • Mit 1,3 Milliarden US-Dollar lagen Kubas Exporte um 31,3 Prozent unter dem vorgesehenen Wert. Die Tabakindustrie konnte den Plan nur zu 91 Prozent erfüllen, bei Rum lag der Wert aufgrund der gesunkenen globalen Nachfrage bei 86 Prozent. Die Nickelexporte entwickelten sich aufgrund der gestiegenen Weltmarktpreise gut, doch die Produktion liegt unter dem Plan. Der Export von Honig und biopharmazeutischen Produkten verlaufe zufriedenstellend.
  • Die Importe fielen mit 5,8 Milliarden US-Dollar um 35 Prozent ebenfalls wieder geringer als geplant aus. Dieses Jahr importierte Kuba damit wertmäßig in etwa die selbe Warenmenge wie 2004, was einem dem drastischsten Einbruch gleichkommt. Zum Vergleich: Das Importniveau der Jahre 2015-18 lag im Schnitt bei rund 12-14 Mrd. US-Dollar. Möglich wurde dies nur durch das Herunterfahren zahlreicher Industrien und dem Aussetzen von geplanten Wartungs- und Investitionszyklen. Doch auch die Lebensmittelimporte haben sich seit damals von rund zwei auf 1,3 Mrd. US-Dollar fast halbiert: „sehr deutlich unter der Nachfrage“, so Gil.

Hinweis in eigener Sache: Die Rubrik „Aktuelle Trends“ hat inzwischen ein Update mit den jüngsten Konjunkturdaten erhalten.

  • Nachdem sich das Lohn- und Preisgefüge auf Kuba in den vergangenen Jahren kaum verändert hat, sind die Folgen der Währungsreform inmitten der aktuellen Rezession deutlich zu Tage getreten. Wie der Vorsitzende der Reformkommission und „Kopf“ der Währungsreform, Marino Murillo, erklärte, sind die Preise im staatlichen Einzelhandel um 60 Prozent gestiegen, auf dem informellen Markt liegen die Zuwächse bei 6900 Prozent. Damit liegt die Inflation oberhalb des vorgesehenen Rahmens von rund 500 Prozent. Als Ursache für den starken Anstieg der Schwarzmarktpreise machte Murillo unter anderem den Einbruch der Wirtschaft bei einem gleichzeitigen Nachfrageüberhang von 60 Milliarden Pesos (rund 1,8 Milliarden Euro) aus. Da der offiziell festgesetzte Kurs von 1:24 aufgrund des Liquiditätsmangels nicht bedient werden kann, hat sich auf der Straße inzwischen ein Parallelmarkt für den Peso entwickelt. Dort liegt der Wechselkurs derzeit bei 1:68 (US$) bzw. 1:88 (€).
    Weitere Infos zu den steigenden Verbraucherpreisen: → „Elf Monate Währungsreform in Kuba: Regierung gibt Daten zur Inflation bekannt“ sowie: → Fünf Monate Währungsreform: Der CUC geht, die Probleme bleiben.
  • Seit Sommer 2020 sind viele Produkte, die früher in konvertiblen Pesos (CUC, ab 2014 zunehmend auch in Pesos) verkauft wurden, nur noch in Fremdwährungsgeschäften erhältlich. Dort kann ausschließlich bargeldlos mit entsprechenden Kreditkarten in US-Dollar, Euro und anderen Devisen eingekauft werden. Die Produkte landen anschließend zum informellen Wechselkurs gegen Pesos auf dem Schwarzmarkt. In den übrigen Supermärkten wird versucht, ein Grundsortiment aus rund 40 Lebensmitteln und Hygieneprodukten in nationaler Währung anzubieten. Wie Gil bekannt gab, wurden zu diesem Zweck bislang rund 300 Millionen US-Dollar aus den Einnahmen der Dollarverkäufe aufgewandt. Um den Inflationsdruck abzumildern seien 35 Maßnahmen in Kraft gesetzt worden. Gil nennt u.a. die Aufstockung der Libreta-Rationen und die Erweiterung der Brotverkäufe in den Bodegas sowie die Zulassung des Garagenhandels. Die im Sommer 2019 eingeführten und mittlerweile wieder abgeschafften Preisobergrenzen hätten das Problem nur zeitweise abmildern können. De facto wurde damit der Schwarzmarkt befördert, da viele Verkäufer auf informelle Kanäle auswichen. Eine nachhaltige Lösung könne nur in der Ausweitung von Produktion und Angebot bestehen, so Gil.
  • Große Defizite gibt es in fast allen Bereichen der Landwirtschaft. Diese seien vor allem auf das Fehlen von Zwischengütern wie Treibstoff, Ersatzteilen und Ausrüstung wie Düngemitteln zurückzuführen, erklärte Gil. Die jüngste Reform des Agrarsektors ermöglicht Produzenten den freien Verkauf von Überschüssen. Mit der neuen Vermarktungsstruktur sollen Zwischenhändler vermieden werden, gleichzeitig ist das staatliche Abnahmemonopol gefallen. Verträge zwischen Staat und Bauern sollen künftig „auf dem Feld anstatt im Büro“ geschlossen werden, erklärte der Vizepräsident des Ministerrats, Jorge Luis Tapia Fonseca. Der staatliche Abnahmepreis für Milch wurde auf 20 Pesos pro Liter angehoben, ab März soll die Bezahlung unverzüglich bei der Lieferung erfolgen.
  • Durch die Probleme bei den Schwerölkraftwerken, welche für über die Hälfte der Stromerzeugung aufkommen und zum größten Teil mit kubanischem Öl befeuert werden, musste verstärkt auf Dieselkraftwerke ausgewichen werden, was die Kosten in die Höhe trieb. Der Ausbau der erneuerbaren kommt bislang eher schleppend voran, sie machen derzeit nur nur zwei Prozent am Energiemix aus. Trotz Kürzungen bei der energieintensiven Zementindustrie kam es seit Juni zu regelmäßigen Stromabschaltungen für die Bevölkerung. „Die Erholung der Wirtschaft wird in Zukunft mehr Elektrizität als bisher benötigen, weshalb dieses Thema zu unseren Prioritäten gehört“, erklärte Gil.
  • Inzwischen können Privatbetriebe über ausgewählte Staatsunternehmen am Außenhandel teilnehmen. Bislang wurden allerdings lediglich 5312 Verträge unterzeichnet, wie Gil erklärte. 5115 betreffen Importe in Höhe von 81 Millionen US-Dollar. Lediglich 197 umfassen Exporte (in Höhe von 15 Mio. US-Dollar). Das könnte sich mit der jüngsten Öffnung des Privatsektors langsam ändern: Seit Inkrafttreten der Gesetze im September wurden die ersten 416 kleinen und mittlere Unternehmen (KMU) auf Kuba genehmigt, die insgesamt 5893 Beschäftigte zählen. 57 Prozent von ihnen sind ehemalige Selbstständige, die sich jetzt ab drei Angestellten in die neue Rechtsform einer „Sociedad de responsabilidad limitada“ (SLR, entspricht einer deutschen GmbH) umwandeln müssen. Die übrigen 43 Prozent haben sich neu gegründet. 397 der KMU sind rein private Firmen, 10 Kooperativen (CNoAs) und 9 im Staatssektor verortet. 18 sind bereits am Außenhandel beteiligt. Die Geschäftsfelder reichen von Gastronomie über Baugewerbe und Transport bis hin zur herstellenden Industrie und Informatik (→ Liste der jüngsten Neugründungen als PDF). Wie Gil hervorhob, befänden sich unter den staatlichen KMU drei Unternehmen, die sich speziell den Importbedürfnissen des Privatsektors widmen sollen. Darüber hinaus haben sich 16.000 Selbstständige neu registriert. Während der Hochzeiten des Lockdowns haben bis zu 250.000 der 614.000 „Cuentapropistas“ auf Kuba ihre Lizenzen zeitweise suspendiert. Der jüngste Aufschwung des privaten Kleingewerbes kann, nicht zuletzt mit Blick auf die laufende Öffnung des Tourismus, als vorsichtiges Zeichen einer beginnenden Wirtschaftserholung gewertet werden.
  • Trotz der Rezession konnten in Folge der Währungsreform die Produktivität um 21 Prozent zulegen, die meisten Betriebe arbeiten in dem neuen Umfeld wettbewerbsfähiger als zuvor. Von den bislang rund 200.000 neu geschaffenen Stellen ist knapp die Hälfte im Privatsektor angesiedelt. „Es gibt kein „sie“ und „wir“; wir werden nicht gewinnen, wenn es keine Verknüpfungen zwischen dem staatlichen und dem nicht-staatlichen gibt“, betonte Gil mit Blick auf die laufenden Reformen.
  • Die Reform des Staatssektors geht weiter: Kubas Staatsunternehmen haben im Kontext der Währungsreform mehr Autonomie erhalten, was neben der Abwicklung des Außenhandels und Verträgen mit dem Privatsektor auch die Gestaltung der Entlohnung umfasst. Bereits seit einigen Jahren verbleiben 50 (statt 30) Prozent der Gewinne im Betrieb. Jetzt arbeiten die ersten 96 Staatsunternehmen (mit insgesamt rund 100.000 Beschäftigten) ohne die fixen Gehaltstabellen des Wirtschafts- und Planungsministeriums auf Basis betriebswirtschaftlicher Indikatoren. Ziel ist, Unternehmensergebnis und Lohn stärker zu verknüpfen und Hemmnisse für die Entwicklung der Betriebe zu beseitigen.
  • Bei den ausländischen Direktinvestitionen sollen künftig verstärkt kleinere Projekte mit lokalem Impact berücksichtigt und ausgeschrieben werden, was nicht zuletzt die Exilcommunity ansprechen dürfte. „Es gibt keinerlei Einschränkungen für im Ausland lebende Kubaner“, stellte Außenhandelsminister Rodrigo Malmierca vergangenes Jahr klar. Die meisten Investoren hätten Kuba während der Krise die Treue gehalten, Ende des Jahres soll eine Reihe neuer Projekte an den Start gehen. Wie Wirtschaftsminister Gil einräumte, gelte es jedoch noch diverse bürokratische Hemmnisse und Verzögerungen für Investoren zu beseitigen.
  • Zu den wichtigsten Prioritäten im aktuellen Jahrfünft (2021-2026) zählen laut Gil unter anderem: Fortschritte bei der Lösung der strukturellen Probleme der Wirtschaft zu erzielen, die Entwicklung der Lebensmittelproduktion, Steigerung der Exporte und Substituierung von Importen, Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien, Erholung und Entwicklung des Tourismus und Förderung von ausländischen Investitionen, Konsolidierung der Währungsreform, Anwendung von Wissenschaft, Technologie und Innovation und die Entwicklung von neuen Sozialprogrammen für vulnerable Gruppen.

Reformpaket setzt judikative Aspekte der neuen Verfassung um

Im Rahmen der Umsetzung der 2019er Verfassung hat sich Kuba eine Justiz- und Strafverfahrensreform verordnet. Die vier Gesetze wurden nach Auswertung von Vorschlägen aus der Bevölkerung und Experten vom Parlament beschlossen und treten am 1. Januar 2022 in Kraft. Mit der Reform soll die Rechtsstaatlichkeit auf Kuba gestärkt und in Übereinstimmung mit den Konzepten der „Magna Carta“ (§40-100) gebracht werden. Mit der neuen Konstitution wurde unter anderem Habeas Corpus (§ 95f.) eingeführt, mit dem Personen vor Freiheitsentzug während laufender Ermittlungen geschützt werden sollen. Die erstmals im Mai vorgestellten Entwurfstexte finden sich → hier als PDF zum Download.

  1. Gesetz über die Gerichtshöfe („Ley de los Tribunales de Justicia“): Ersetzt das bisherige Gesetz Nr. 82 aus dem Jahr 1997. Die Institutionen wurden in Übereinstimmung mit der neuen Verfassung gebracht und die Justiz als öffentliche Dienstleistung definiert. „Die wertvollsten gesammelten Erfahrungen aus der Rechtspraxis der vergangenen Jahre“ hätten ebenso wie neue und innovative Ansätze Eingang in die Novelle gefunden, heißt es in der Vorstellung der Gesetze im Parlament. Die Aufgabe der Gerichte als Verteidiger der konstitutionellen Ordnung wurde bekräftigt. Zudem wird an dem charakteristischen Prinzip sozialistischer Gerichtsbarkeit festgehalten, nach dem die meisten Rechtsstreitigkeiten in erster Instanz auf lokaler Ebene verhandelt und entschieden werden sollen. Insgesamt sollen die Gerichte mit der Reform mehr Flexibilität erhalten.
  2. Strafprozessordnung („Ley del Proceso Penal“): Ersetzt das bisherige Gesetz aus dem Jahr 1977. Neben der neuen Verfassung wurden mit der reformierten Strafprozessordnung auch 23 internationale Abkommen implementiert, welche Kuba mittlerweile unterzeichnet hat. Das Aussageverweigerungsrecht und die Unschuldsvermutung wurden gestärkt. Darüber hinaus kommt den Opfern in Strafprozessen jetzt eine wichtigere Rolle zu. Künftig dürfen diese, anders als bisher, als Nebenkläger auftreten: So können eigene Beweise vorgelegt, Rechtsmittel eingelegt und über einen Anwalt Zivilansprüche geltend gemacht werden. Darüber hinaus dürfen sie zu Beginn der Verhandlung Aussagen tätigen, die Beweisaufnahme beobachten und Einspruch erheben. Alle Angeklagten haben das Recht auf einen Verteidiger eigener Wahl. Wird eine Person in Untersuchungshaft genommen und beauftragt binnen 48 Stunden keinen Verteidiger, muss die handelnde Behörde nach Ablauf der Frist nun von Amts wegen einen Pflichtverteidiger stellen, falls dies nicht abgelehnt wird. Das Gebot würdevoller Behandlung sowie das Verbot von Gewalt und Zwangsmaßnahmen während der Verhandlung fanden ebenfalls Eingang in den Text.
  3. Gesetz über Verwaltungsverfahren („Ley de Proceso Administrativo“): Mit dem Gesetz wird auf Kuba erstmals eine für Bürger praktisch nutzbare Verwaltungsgerichtsbarkeit eingeführt. Entscheidungen von Behörden können damit juristisch angefochten werden, zuvor muss jedoch bei der nächsthöheren Stelle eine Beschwerde eingereicht werden.
  4. Gesetz über die Verfahrensordnung („Ley de Código de Procesos“): Soll die Verfahrensweise von Zivil-, Familien-, Handels-, Arbeits- und Sozialversicherungssachen vereinheitlichen und etabliert zwei Grundmodalitäten: das ordentliche Verfahren („proceso ordinario“) und das Schnellverfahren („proceso sumario“). Der Zugang zur Gerichtsbarkeit wird ausgedehnt. Die direkte Interaktion zwischen Gericht und den Parteien wird durch Anhörungen gestärkt, wobei wenn möglich eine Einigung unter den Beteiligten angestrebt wird. Mit dem neuen Gesetz wird anders als bislang die Mündlichkeit und Öffentlichkeit der Verhandlungen betont. Die Rolle der Richter soll aktiver werden. Ihnen kommt in der Verhandlung die Aufgabe zu, die „Wahrheit der Fakten“ („la verdad de los hechos“) zu suchen.
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