19. März 2024

Kuba öffnet Außenhandel für Privatsektor

Kubas Außenhandelsminister Rodrígo Malmierca kündigte gestern mehrere Reformen auf dem Bereich an (Quelle: Cubadebate)

Auf Kuba wurde gestern – mit Ausnahme von Havanna und der Provinz Matanzas – die erste Lockerungsphase der Corona-Maßnahmen eingeläutet. Am selben Tag kündigte die Regierung ein umfangreiches Reformpaket an, mit dem die Wirtschaft der Insel wieder in Gang gebracht werden soll. So soll der staatliche Außenhandel dezentralisiert und mehr Entscheidungskompetenz auf die Ebene der Unternehmen verlagert werden. Darüber hinaus werden Privatbetriebe erstmals Waren exportieren und mit ausländischen Investoren zusammenarbeiten können. „Cuba heute“ hat die Details…

Die Corona-Pandemie verursacht rund um den Globus schwere wirtschaftliche Schäden. Die UN-Wirtschaftskomission für Lateinamerika und die Karibik (ECLAC) rechnet für 2020 mit einer Rezession von 5,3 Prozent in der Region. Am schwersten treffen werden die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise demnach Venezuela (-18 Prozent), St. Lucia (-8,1 Prozent) und Grenada (-7,3 Prozent) während für Kuba von einem Wirtschaftseinbruch von 3,7 Prozent ausgegangen wird.

„Eine Wirtschaft mit Null Tourismus und unter der verschärften US-Blockade kann nicht weiter funktionieren als wäre nichts passiert“, erklärte Kubas Wirtschaftsminister Alejandro Gil bereits Anfang Mai. Präsident Díaz-Canel forderte damals eine Beschleunigung der Reformen. Die Krise solle genutzt werden, um die beschlossenen Wirtschaftskonzepte sowie „neue Akteure und Praktiken einzuführen“, so Díaz-Canel. Mit Beginn der Lockerungen wurden jetzt die ersten Schritte in diese Richtung bekannt gegeben.

Mehr Autonomie für Staatsbetriebe

Rodrígo Malmierca, Kubas Minister für Außenhandel und ausländische Investitionen, kündigte gestern weitreichende Neuerungen beim Im- und Export auf Kuba an. So sollen Staatsbetriebe künftig neue Lizenzen für die eigenständige Abwicklung von Geschäften im Ausland erhalten. Einige betriebswirtschaftliche Entscheidungen werden damit, wie bereits vergangenen Sommer angekündigt, von den Ministerien auf die Ebene der Unternehmen verlagert. „Der konzentrierte Einkauf, welcher bei stark nachgefragten Produkten von Vorteil ist, darf sich nicht in ein Hindernis für die kubanischen Betriebe entwickeln“, so Malmierca.

Im Rahmen der Reform der Planwirtschaft sollen die staatlichen Unternehmen auf Kuba künftig stärker autonom wirtschaften und „ohne Zwangsjacke“ betriebliche Entscheidungen treffen dürfen, und so z.B. neue Produkte über den Plan hinaus einführen. Bereits seit 2015 verbleiben die Hälfte statt früher 30 Prozent der Gewinne im Betrieb. Um die neuen Möglichkeiten nutzbar zu machen soll jetzt ein neues Anreizsystem entwickelt werden, welches „über fiskalische Maßnahmen die Exporte stimuliert“, erklärte Malmierca in der gestrigen Sondersendung des „runden Tisches“ (span.: „Mesa Redonda“). Das könnte bedeuten, dass der bisherige Wechselkurs zwischen Peso und US-Dollar, der im Staatssektor künstlich bei 1:1 gehalten wird und damit Importe vergünstigt und Exporte unrentabel werden lässt, auf der Abschussliste steht. In der Zuckerindustrie wird bereits seit einigen Jahren mit multiplen Wechselkursen experimentiert.

Neue Möglichkeiten für Privatbetriebe und Joint-Ventures

Neu ist auch, dass erstmals Privatbetriebe am Außenhandel teilnehmen dürfen. Sowohl Kooperativen außerhalb der Landwirtschaft (CNoAs) als auch selbstständig Beschäftigte („Cuentapropistas“) werden ihre Waren über spezialisierte Staatsbetriebe ins Ausland absetzen können. Letztere sollen künftig eine eigene Rechtsform erhalten, was auf eine baldige Umsetzung der bereits 2017 beschlossenen Reform des Privatsektors deutet. Diese sieht die Bildung von kleinen und mittleren Privatbetrieben als eigenständige Rechtspersönlichkeiten im Rahmen des neuen Sozialismus-Modells des Landes vor. Damit soll nicht zuletzt die Wirtschaftsentwicklung auf lokaler Ebene gestärkt werden, wo laut Malmierca noch „reichlich ungenutztes Potential existiert.“

Passend dazu plant die Regierung auch einige Neuerungen bei den Gesetzen für ausländische Direktinvestitionen. Joint-Ventures und 100 Prozent ausländische Firmen dürfen künftig mit dem Privatsektor zusammenarbeiten sollen so neue Wertschöpfungsketten für den Export bilden. Seit Anfang des Jahres ist es allen Staatsbetrieben erlaubt, mit den Firmen in der Sonderwirtschaftszone Mariel zu kooperieren. Statt wie bisher vor allem Großprojekte zu bevorzugen will Kuba bei den Auslandsinvestitionen künftig „Platz für Vorhaben mit kleinen Firmen, die Probleme auf lokaler und territorialer Ebene lösen“, bieten.

Malmierca stellte des Weiteren klar, dass Investitionen von Auslandskubanern explizit erwünscht sind. Dabei blicken die Kubaner wohl auf die Erfahrungen in China und Vietnam, wo der Durchbruch bei den Auslandsinvestitionen ebenfalls mit Hilfe der Exilcommunity gelang. „Es gibt bei den Investitionen keinerlei Einschränkungen für im Ausland lebende Kubaner“, so der Minister. Politisch spielt Havanna dabei den Ball wieder nach Washington, von wo aus mit immer neuen Sanktionen zuletzt auch der Privatsektor bis hin zu den Geldsendungen von Familien blockiert wurde.

Mit den Reformen soll der starke Einbruch im Tourismus durch eine Belebung der Warenexporte ausgeglichen werden, die Staats- und Privatsektor im Verbund leisten sollen. Durch den Mangel an Devisen musste der Staat seine Importe zuletzt stark reduzieren, was zu Versorgungsengpässen für die Bevölkerung geführt hat. Seit vergangenem Oktober baut die Regierung bereits ein neues Handelsnetz für private Importe in US-Dollar und anderen Devisen auf, welches jetzt um einen entsprechenden Gegenpart für den Export ergänzt wird. Damit wird auch eine wichtige Grundlage für die mehrfach verschobene Währungsreform gelegt, in deren Rahmen der CUC aus der Zirkulation verschwinden soll. Bereits im Dezember vergangenen Jahres haben die ersten Läden in Havanna damit begonnen, das Wechselgeld nur noch in kubanischen Pesos auszugeben.

Weitere Neuerungen im Überblick:

  • Neuer Beruf im Privatsektor: Mit dem Gesetzesdekret vom 16. Juni erlaubt Kubas Regierung erstmals den Beruf des Übersetzers „auf eigene Rechnung“ auszuüben. Laut Berichten der Tageszeitung „Granma“ erhält das staatliche Übersetzungs- und Dolmeterscherbüro ESTI jedes Jahr rund 50.000 Anfragen für Übersetzungen, welche nicht alle bedient werden können. Nach Inkrafttreten des Gesetzes im Oktober soll nach einer Zertifizierung durch die Institution der Beruf auch im Privatsektor Fuß fassen können.
  • Löhne nur noch per Girokarte: künftig sollen sämtliche Gehälter und Löhne in Kuba über ein Bankkonto mit zugehöriger Girokarte ausgezahlt werden. Die massive Ausgabe der Karten soll ab der 3. Phase der Lockerungen beginnen. Die Maßnahme ist Teil einer Reform des Bankwesens, die mit dem Ausbau von Kartenterminals, Geldautomaten und des Onlinehandels einhergeht und die bevorstehende Währungsreform besser steuerbar machen dürfte.
  • Neue Kaderpolitik: Kubas Staatsrat hat gestern in einer Sondersitzung die Grundzüge einer neuen Kaderpolitik für alle Staats- und Verwaltungsorgane beschlossen. Details wurden noch nicht bekannt. Derzeit wird ein Vorschlag von Seiten der Gemeinden überprüft, inwiefern der Beruf des Bürgermeisters stärker professionalisiert werden kann. Bisher entspricht die Tätigkeit von Abgeordneten und Funktionsträgern auf den lokalen Ebene eher einem Laienparlament mit wenig ausdifferenzierten Funktionen, was sich im Zuge der Umsetzung der neuen Verfassung ändern soll. Im Zeitplan war das Kadergesetz ursprünglich für Februar vorgesehen.
  • Pflichtversicherung für Fahrer: gewerbliche Transportdienstleister müssen künftig eine Unfallversicherung gegen Material- und Personenschäden vorweisen können. Ausgenommen hiervon sind Fahrer für die Streitkräfte und das Innenministerium.
  • Täglicher Datenverbrauch des kubanischen Mobilnetzes vom 1. Januar bis zum 14. Juni 2020 in Terrabyte (Quelle: Cubadebate)

    Digitalisierung im Aufwind: wie Kommunikationsminister Jorge Luis Perdomo Di-Lella gestern bekannt gab, hat die Internetnutzung auf Kuba durch Corona massiv zugenommen. So stieg die Zahl der Nutzer des mobilen Internets seit Dezember 2019 von 2,9 auf 3,8 Millionen (+31 Prozent), die Gesamtzahl der Handynutzer liegt jetzt bei 6,1 Millionen. Der über das Mobilnetz abgewickelte Datentraffic hat sich seit Januar um fast 90 Prozent erhöht. Durchschnittlich verbraucht ein Mobildatennutzer auf Kuba 1,7 GB pro Monat. Die Datennutzung offizieller Apps, darunter staatliche Bildungsangebote und die Onlinehandelsplattform „EnZona“, soll künftig gratis sein. Nächste Woche will der Telefondienstleister ETECSA weitere Preissenkungen bekannt geben.

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13 Gedanken zu “Kuba öffnet Außenhandel für Privatsektor

  1. Bein den Kosten für mobiles Internet, ist es verwunderlich, dass überhaupt so viele Daten im Durchschnitt verbraucht werden, wenn doch ein 2,5 GB Paket zur Nutzung außerhalb des LTE-Funkbereiches schon unverfrorene 20 CUC kosten.

      1. Soweit ich ich weiß, kann dieser Vorteil nur im von LTE abgedeckten Raum genutzt werden! Deshalb habe ich das auch so ausdifferenziert. Mag sein, dass jemand in Havanna diese Option nutzen kann, in Camajuaní oder Remdios gibt es aber kein LTE!

      2. Die ländlichen Gebiete sind natürlich noch überwiegend nicht versorgt, aber doch immerhin schon alle Provinzhauptstädte – die Netzabdeckung von LTE übersteigt also bei weitem schon die Einwohnerzahl Havannas. Allerdings kann ich mir schon vorstellen, dass der statistische Durchschnittswert von 1,7 GB nicht gleichmäßig auf alle Nutzer verteilt ist.

  2. Das Wirtschafts-Embargo muss schnellstens beendet werden. Um Fortschritte zu erzielen sollte eine intensive Zusammenarbeit mit Deutschland , Frankreich und Holland aufgenommen werden.

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