11. Oktober 2024

Handelsmesse FIHAV 2023: Alte Probleme und neue Ansätze

Die 39. Ausgabe der Internationalen Handelsmesse von Havanna (FIHAV), die vergangenen Freitag zu Ende gegangen ist, stand dieses Jahr unter keinem guten Stern. Die Stimmung unter den Investoren ist schlecht, Hauptproblem sind die anhaltenden Zahlungsschwierigkeiten der kubanischen Seite. Doch die zweite FIHAV seit Corona beschritt erstmals auch gänzlich neue Wege. „Cuba heute“ hat wie immer die Details…

Größte deutsch-kubanische Investition seit Jahren

Wie das kubanische Außenhandelsministerium (MINCEX) bekannt gab, haben dieses Jahr 844 Unternehmen aus 63 Ländern an der Messe teilgenommen. Fast doppelt so viele wie im vergangenen Jahr. Die Zahl der ausländischen Gäste dürfte trotzdem eher rückläufig gewesen sein: Viele Pavillons des Messegeländes Expocuba waren leerer als im Vorjahr, darunter auch der deutsche. Kommendes Jahr werden Unternehmen aus der Bundesrepublik deshalb zum ersten Mal seit langem ohne eigene Halle auf der Messe auskommen müssen. Die Finanzierung durch das Auswärtige Amt sei gestrichen worden, heißt es aus Unternehmerkreisen.

Ausgerechnet in seinem vorerst letzten Jahr ist eine große Neugründung aus dem deutschen Pavillon zu vermelden: Am 8. November wurde das deutsch-kubanische Joint Venture Envapel S.A. zwischen der kubanischen Sociedad Mercantil Cubana Química Internacional S.A. in Vertretung des kubanischen Unternehmens Empresa Cubana del Papel (CUBAPEL) und der deutschen Profümed Karlheinz Lohr e.K. aus der Taufe gehoben. Das neue Unternehmen will sich der Herstellung von Papierverpackungen für die kubanische Industrie widmen. Zu den ersten Produkten werden mehrwändige Säcke, Taschen und Kartuschen zählen, die derzeit nicht im Land hergestellt werden. Hierzu will das Joint Venture an seinem Sitz in der Fabrik „Andrés Luján Vázquez“ im Industriegebiet von Havannas Außenbezirk Boyeros, drei neue Produktionslinien aufbauen. Wie der Direktor des kubanischen Joint Venture Partners Cubapel, William Marrero Chi, gegenüber der Parteizeitung Granma ausführt, beträgt das Investitionsvolumen umgerechnet 31,4 Millionen US-Dollar. Die Investition soll in 14 bis 16 Monaten durchgeführt werden, so dass die neuen Produktionslinien im nächsten Jahr in Betrieb genommen werden können.

Das Joint Venture Envapel S.A. wurde am 8. November im Rahmen der FIHAV gegründet (Quelle: Trabajadores)

Bei der Gründung eines Joint Ventures zwischen kubanischen und ausländischen Unternehmen, bringt der kubanische Partner in der Regel auf 20-40 Jahre begrenzte Nutzungsrechte für existierende Installationen wie z.B. eine alte Fabrikhalle oder ein Industriegebiet ein. Der ausländische Partner muss hingegen Kapital beisteuern und die notwendigen finanziellen Mittel bereitstellen. Der ausländische Partner ist normalerweise ebenso für Akquise und Garantie von internationalen Krediten und der Finanzierung der Projekte des gemeinsamen Unternehmens verantwortlich. Seit Kuba im Januar 2021 erneut auf die US-Liste der terrorfördernden Staaten aufgenommen wurde, halten deutsche Banken sich bei der Kreditvergabe für Investitionen auf Kuba stark zurück, die meisten Projekte müssen mit Privatkapital finanziert werden. Die geplante Investition des neuen Joint Ventures stellt die größte bekannte Investition mit deutscher Beteiligung der letzten Jahre dar.

Die unterm Strich gestiegene Zahl der Unternehmen auf der Messe dürfte indes nicht zuletzt auf die erhöhte kubanische Präsenz zurückgehen. Zum ersten Mal waren alle 15 Provinzen des Landes mit eigenen Ständen vertreten. Während Europa fast auf dem Rückzug schien, waren neue Stände traditioneller Partner und aus Ländern des Globalen Südens präsent: Bolivien, China, Vietnam, Indien und Russland konnten ihre Präsenz ausbauen. Auch die Beteiligung des Privatsektors hat deutlich zugenommen. Letzterer spielt eine immer wichtigere Rolle in der Wirtschaft, insbesondere im Bereich der Importe. Am letzten Tag der Messe gab das Wirtschaftsministeriums passend dazu die Genehmigung von 55 weiteren kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) bekannt, deren Anzahl seit Inkrafttreten der entsprechenden Gesetze im September 2021 auf mittlerweile 9178 gewachsen ist. Eine wichtige Rolle für die Zukunft des Sektores wird das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten einnehmen, bei dem sich auf wirtschaftlichem Gebiet dieser Tage deutlich mehr tut als in der Politik.

„deCancio Food“: Die erste kubanisch-US-amerikanische Lebensmittelmarke

Der kubanische-amerikanische Unternehmer Hugo Cancio, Gründer von Fuego Enterprises Inc., die den Onlineshop Katapulk betreibt, hatte auf der FIHAV eine Ankündigung zu machen, die aufhorchen lässt: Sein Versandhandel, der von Lebensmitteln bis neuerdings auch zu Kraftfahrzeugen aller Art ein breites Sortiment umfasst, wird künftig um die eigene Lebensmittelmarke „deCancio Food“ erweitert. „Ab nächstem Monat werden die Produkte von Cancio in Kuba für alle Arten des Verkaufs offen sein, sowohl bei Staatsunternehmen, da wir bereits eine Lizenz dafür haben, als auch in nichtstaatlichen Geschäften“, kündigte Cancio bei der Vorstellung der Marke an. Während das Geschäftsmodell bislang auf Importen beruht, will Cancio in einer zweiten Phase seine Lebensmittel auch auf Kuba selbst „in Zusammenarbeit mit unabhängigen Produzenten“ fertigen lassen. Damit soll „der nationale Markt aus dem Land heraus versorgt und, warum nicht, auch exportiert werden“, so Cancio. Möglich wird dies durch Ausnahmegenehmigungen der seit mehr als 60 Jahren bestehenden US-Handelsblockade, von denen – so zumindest die Gerüchteküche – künftig weitere kommen sollen, die dem Privatsektor gelten.

Hugo Cancio (links) bei der Vorstellung seiner Lebensmittelmarke (Quelle: Otmaro Rodríguez/OnCuba)

Kuba hat im Dezember 2021 rechtliche und ideologische Barrieren für Investitionen der Exilgemeinde aus dem Weg geräumt. Jetzt arbeitet man auf der Insel daran, neben Katapulk weitere Projekte ins Rollen zu bringen. Auch, um den Ball zur Lockerung von Sanktionen weiter ins Spielfeld Washingtons zu bugsieren. Der 1980 als 16-jähriger im Rahmen der Bootskrise von Mariel ausgewanderte Cancio spielt dabei als Vorreiter eine wichtige Rolle. „Es gibt viele kubanisch-amerikanische Geschäftsleute, die bereits in Kuba sind, einige sind sogar gerade auf der Messe“, sagte er, „und genau darum geht es: Brücken zu bauen, Kooperationen aufzubauen, zu diesem notwendigen Prozess der wirtschaftlichen Öffnung beizutragen, mit dem Willen der Behörden, für diejenigen von uns, die außerhalb der Insel leben und einen Beitrag zum Land leisten wollen.“

Kubas stellvertretende Außenhandelsministerin Ana Teresita González bezeichnete die Vorstellung von deCancio Food auf der FIHAV 2023 als „einen sehr wichtigen Moment“. „Was Hugo Cancio begonnen hat, zuerst mit der Vermarktung und dann mit der Idee, hier zu produzieren, ist ein Beispiel dafür, was wir tun können, was erreicht werden kann, wenn wir zusammenarbeiten; auf Grundlage des politischen Willens der kubanischen Regierung und mit dem Beitrag der im Ausland lebenden Kubaner“, erklärte González.

Neuer Minister, neue Ansätze

Kubas Außenhandelsminister Ricardo Cabrisas bei der Präsentation der neuen „Cartera“ (Quelle: Cubadebate)

Andernorts auf der Messe sah das Panorama weniger hoffnungsvoll aus. Insbesondere langjährige Partner von Staatsunternehmen und Joint Ventures klagen über die anhaltenden Ausstände der kubanischen Seite. Seit Beginn der aktuellen Wirtschaftskrise in Folge der Corona-Pandemie und verschärften US-Sanktionen im Jahr 2020, muss die Insel jeden Dollar zweimal umdrehen, die Importe des Staatssektors sind 2021 um gut 40 Prozent eingebrochen und verharren seither auf niedrigem Niveau. Ähnliches kässt sich über den Zufluss von Investitionsmitteln sagen, die weit unter den Zielvorstellungen liegen.

Jüngsten Daten des MINCEX zu Folge gibt es auf Kuba derzeit 334 Joint Ventures und ausländische Betriebe, davon 52 in der 2014 eröffneten Sonderwirtschaftszone von Mariel (ZEDM). 56 sind zu 100 Prozent in ausländischem Besitz, bei 106 handelt es sich um Joint Ventures. Des weiteren werden 172 Verträge über internationale Wirtschaftsassoziationen gezählt, die meisten davon in den Bereichen Tourismus, Energie, Bergbau und der Lebensmittelindustrie. Genau hier sucht die Insel auch am dringendsten neue Partner. Das neue Investitionsportfolio („Cartera de Oportunidades“) umfasst 729 Projekte (+21 im Vergleich zum Vorjahr) mit einem Gesamtvolumen von 34 Milliarden US-Dollar, fast dreimal mehr als noch 2021 (12,5 Mrd. US-Dollar). Seit Januar seien 30 Vorhaben genehmigt worden, 45 weitere befänden sich in „fortgeschrittenen Verhandlungen“, erklärte Kubas neuer Außenhandelsminister Ricardo Cabrisas (86). „Wir arbeiten an der Beseitigung interner Hemmnisse und an der Minimierung der negativen Auswirkungen der Blockade, die real ist, und deren Effekte die hauptsächliche Verletzung der Menschenrechte des kubanischen Volkes darstellen“, sagte Cabrisas in seiner Eröffnungsrede.

Cabrisas fungierte bereits Mitte der 2010er Jahre als Wirtschaftsminister und machte sich als Chefunterhändler der kubanischen Altschulden einen Ruf als versierter Verhandlungspartner. Im April übernahm er das MINCEX von seinem Vorgänger Rodrigo Malmierca (66), dem es in seiner 14-jährigen Amtszeit nicht gelungen ist, den immer wieder versprochenen Bürokratieabbau seiner Behörde umzusetzen. Erstmals sind dieses Jahr 139 Projekte von Seiten der Provinzregierungen ausgeschrieben, fast zeitgleich mit Cabrisas‘ Amtsantritt wurden einige Kompetenzen bei der Genehmigung von Verträgen mit ausländischen Partnern dezentralisiert.

Jungunternehmer Forum FIHAV 2023
Zum ersten Mal fand auf der FIHAV in diesem Jahr ein Forum für Jungunternehmer statt (Quelle: ProCuba)

Wie Cabrisas Ende vergangener Woche bekannt gab, seien im Rahmen der Messe 150 neue Verträge und Absichtserklärungen unterzeichnet worden, „darunter 24 Export- und 10 Importverträge.“ So will sich beispielsweise das französische Bio- und Fairtrade Unternehmen Malangó mit dem ostkubanischen Staatsunternehmen Gran Piedra Baconao zusammentun, um in den Anbau und Export von Kaffee aus der Gegend um Santiago de Cuba zu investieren. Andere Projekte sind bereits in der Umsetzung: Unter dem Namen RusMarket soll noch vor Ende des Jahres erstmals seit dem Ende der Sowjetunion wieder ein Geschäft für russische Waren in Havanna eröffnen. Dessen Standort könnte im 2019 eröffneten Einkaufszentrum „Cuatro Caminos“ sein, das reichlich Platz bietet. Die neue niederländisch-kubanische Biermarke Parranda (Cuba heute berichtete) wird inzwischen in Mariel produziert (Preis: 1,2 MLC [Dollaräquivalent] für eine Flasche á 500ml) und wurde auf der Messe für ihr gutes Marketing prämiert.

Erstmals fand auf der FIHAV dieses Jahr ein Forum für Jungunternehmer aus Kuba und der Welt statt. Zahlreiche KMU stellten dort Produkte und Ideen vor. Neben Themen wie Industrie 4.0, Innovationsmanagement und Digitalisierung ging es auch um den Kampf gegen den Klimawandel und soziales Unternehmertum. Es gelte jetzt, vorhandene Chancen zu ergreifen, auch wenn diese mit Hindernissen verbunden seien, resümierte der Ökonom Juan Triana von der Universität Havanna in einem Workshop. Er forderte „Mut und Beharrlichkeit“, um „die Tür aufzubrechen“ und Behörden „zu überzeugen, anstatt sie zu besiegen“. „Die Möglichkeiten für Gründungen sind in Kuba heute endlos“, so Triana.

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