13. Mai 2024

Die Inflation hat Kuba weiter im Griff

Während in Kuba bereits für die traditionelle Großkundgebung am 1. Mai in Havanna mobilisiert wird, bleibt die wirtschaftliche Lage alles andere als einfach. Viele Preise haben in dem sozialistischen Land mittlerweile ungekannte Höhen erreicht, was die Kaufkraft von Einkommen und Renten auf gefährlich prekäres Niveau geschmolzen hat. Die Regierung plant jetzt, mit neuen Maßnahmen gegenzusteuern.

Der perfekte Sturm

Nach der Währungsreform vom 1. Januar 2021 sah zunächst alles aus wie immer. Die Geschäfte öffneten, und die Abwertung des Pesos um 2400 Prozent (von 1:1 auf 1:24) im Staatssektor schien nur eine Sache für die Bücher zu sein. Bald jedoch trafen die deutlich gestiegenen Einkommen auf ein im Kontext von Pandemie und US-Sanktionen immer knapper werdendes Angebot. Die Wirtschaft brach 2020 um 11 Prozent ein. Durch den Mangel an Devisen ging die staatliche Importkapazität um gut die Hälfte zurück, ein massiver Nachfrageüberhang war die Folge. Zeitgleich mit der Währungsreform wurde Kuba als „Abschiedsgeschenk“ der Trump-Regierung wieder auf die Liste der „Staatssponsoren des Terrorismus“ gesetzt, was die Lage in diesem Jahr noch weiter verkompliziert hat. Im Juli 2021 ereigneten sich landesweite Proteste. „Wir haben so lange auf den perfekten Moment für die Währungsreform gewartet, dass wir sie letzten Endes zum schlechtestmöglichen Zeitpunkt durchgeführt haben“, kommentierte der kubanische Ökonom Juan Triana. Statt der perfekten Maßnahme kam der perfekte Sturm.

Hühnchen, Speiseöl, Waschpulver und Wurst werden in den Peso-Geschäften auf Haushaltsbasis rationiert (Quelle: Cubadebate)

Der nominelle Durchschnittslohn stieg mit der Währungsreform von 879 auf 3838 Pesos, die Mindestrente von 280 auf 1528 Pesos. Mit dem Hochfahren der Wirtschaft am Ende der Lockdowns hat sich jedoch auch ein neues Preisniveau etabliert. Um dringend benötigte Devisen abzuschöpfen wurden Teile des Handels dollarisiert. In vielen Geschäften, wo früher der Peso Convertible (CUC) zum Einsatz kam, kann heute nur noch mit Devisenkarte bezahlt werden. Ein informeller Währungsmarkt ist entstanden, auf dem ein Euro gerade für 190 Pesos gehandelt wird. Im August 2022 wurde ein neuer Umtauschkurs für die Bevölkerung eingerichtet, der bei 1:120 liegt. Dieser kann jedoch nur in eine Richtung (beim Ankauf von Devisen) voll bedient werden.

Ein einfacher Café, der früher mit einem Peso bepreist war, schlägt heute vielerots mit 5 Pesos zu Buche. Höherpreisige Straßencafés, die ihre Preis am informellen Kurs ausrichten müssen, verlangen teilweise das zehnfache. Ein Pfund Tomaten, das früher bei 10 Pesos lag, kostet heute bis zu 80 Pesos. Ein Pfund Zwiebeln, dass zwischen 10 und 20 Pesos kostete, wird nun für rund 150 Pesos gehandelt. Der Preis für Schweinefleisch hat sich mehr als vervierfacht. Ohne die Grundversorgung durch das staatliche Bezugsheft „Libreta“ und die über Subventionen konstant gehaltenen Preise für Strom, Gas, Transport, Internet und andere staatliche Dienstleistungen könnten sich viele Familien nicht einmal mehr schlecht als recht über Wasser halten. Geldsendungen aus dem Ausland („Remesas“), von denen rund ein Drittel der Bevölkerung profitiert, haben an Bedeutung gewonnen.

Autoschlange vor einer Tankstelle in Havanna (Quelle: Cubadebate)

Doch auch mit Devisen in der Tasche ist vieles in Kuba weiterhin knapper als früher. Zwei Drittel der Medikamente sind laut Angaben des Gesundheitsministeriums nicht oder nur sporadisch erhältlich und in Havanna haben sich zuletzt wieder Autoschlangen von mehreren hundert Metern vor Tankstellen gebildet, da es an Treibstoff fehlt. Ein Grundstock an Lebensmitteln und Hygieneprodukten wird mittlerweile auch außerhalb des „Libreta“-Systems in den Peso-Geschäften per Haushaltszuteilung abgegeben. Darüber hinaus sind jenseits des Schwarzmarkts viele Dinge des täglichen Bedarfs kaum erhältlich. Dort kostet ein Liter Sojaöl bis zu 900 Pesos, rund 5 Euro. Die Knappheit an Gütern und Dienstleistungen bewegt sich heute auf einem Niveau, welches massive volkswirtschaftliche Effizienzeinbußen mit sich bringt, da nicht unerhebliche Mengen an Arbeitszeit für Transport und Einkauf verloren gehen, wie der Ökonom José Luis Rodríguez jüngst in einer Sendung zu dem Thema sagte.

Aktuelle Schätzungen zur Inflation

Inflation war im Unterschied zu anderen lateinamerikanischen Ländern in Kuba lange Zeit kein Thema. In den 1960er Jahren wurden sämtliche Preise zentralisiert, die vorteilhaften Handelsbeziehungen mit der Sowjetunion und ihre langfristigen Preisgarantien ermöglichten Währungsstabilität. Dies begann sich mit der Auflösung des sozialistischen Lagers in den 1990er Jahren zu ändern. Die Inselwirtschaft rutschte in eine schwere Rezession. Mit der Währungsreform von 2004 und der Einführung des CUC wurde abermals eine Ära geringer Inflation eingeläutet, die 16 Jahre lang anhielt. Zwischen 2000 und 2019 lag die durchschnittliche jährliche Geldentwertung bei 1,3 Prozent, die Kaufkraft der Löhne verharrte jedoch ebenfalls auf niedrigem Niveau. Obwohl die Krise der 1990er Jahre die Volkswirtschaft insgesamt härter traf, stellt die heutige Inflation inzwischen die damaligen Werte in den Schatten.

Nach Schätzungen des ehemaligen Zentralbankökonomen Pavel Vidal betrug die Inflation im Jahr 2022 rund 200 Prozent. Die Regierung nannte 77 Prozent für 2021 und 39 Prozent im vergangenen Jahr, wobei sich diese Zahlen auf die staatlichen Preise fokussieren, die ebenfalls anzogen, und die Entwicklungen auf dem informellen Markt nicht erfassen, wie Wirtschaftsminister Alejandro Gil einräumte. Den stärksten Zuwachs gab es laut dem Verbraucherpreisindex für 2022 bei Lebensmitteln und Getränken (+63 Prozent) sowie im Restaurant- und Hotelgewerbe (+56 Prozent). Kaum Änderungen wurden im Gesundheitssektor (+2 Prozent) und bei der Telekommunikation (+0,3 Prozent) verzeichnet.

Weltmarktpreis für Sojaöl in Dollar pro Pfund während der vergangenen drei Jahre (Quelle: Finanzen.net)

Nimmt man den Querschnitt aus Grundversorgung, Bauernmärkten, Devisenläden und dem informellen Markt haben sich seit der Währungsreform die Konsumentenpreise mehr als verfünffacht, wobei die größten Zuwächse im Jahr 2021 stattfanden. Der Medianlohn im Staatssektor beträgt aktuell 4142 Pesos, was rund 34 Euro entspricht. Die reale Kaufkraft der Löhne liegt unterm Strich spürbar unter dem Niveau von 2019.

Die eigentlich für letztes Jahr geplante Erholung hat sich durch den Krieg in der Ukraine indes weiter verzögert: Vor allem durch den Rückgang des globalen Tourismus sowie die Explosion der weltweiten Preise für Rohstoffe und Lebensmittel. Erst seit einigen Monaten kann mit dem Rückgang der Weltmarktpreise der für Kuba wichtigsten Importgüter wieder von einer Entspannung gesprochen werden. Dazu muss man wissen, dass die Insel rund 70 Prozent der benötigten Lebensmittel importieren muss, während die heimische Landwirtschaft seit der Pandemie in Folge von zurückgehenden Düngemittelimporten weitere Rückschläge erlitten hat. Sollte sich der Trend fortsetzen wären dies eine wichtige Erleichterungen mit Blick auf die Inflation in Kuba.

Lösungen in Sicht?

Im Vorfeld der Wahl zur Nationalversammlung beherrschte das Thema der horrenden Preise den Austausch der Delegierten in den Wahlkreisen. Präsident Díaz-Canel schilderte das Beispiel älterer Menschen, „die ihr ganzes Leben für Aufbau und Entwicklung des Landes beigetragen haben“ und die von Händlern „verhöhnt“ würden, wenn sie sich über exorbitante Preise beschwerten. „Das kann man in unserer Gesellschaft nicht zulassen, dafür wurde die Revolution nicht gemacht“, so das kubanische Staatsoberhaupt. Premierminister Marrero zu Folge gebe es „viele Situationen, in denen selbst bei einer Kostenkalkulation auf Basis des informellen Wechselkurses Preise mit bis zu dreifach höheren Gewinnen gebildet werden“.

In mehreren Sitzungen des Ministerrats wurden in den vergangenen Wochen Strategien erarbeitet, um gegen die Inflation vorzugehen. Was steht auf der Agenda?

Der Nachfrageüberhang muss abgebaut werden, gleichzeitig sind die Mittel für staatliche Importe begrenzt. Darüber herrschte in sämtlichen Tagungen ein breiter Konsens. Als Schlüssel zur Bekämpfung wird die Belebung der heimischen Produktion angesehen. Ein Teil der Deviseneinnahmen, welche ursprünglich für den Import von Lebensmitteln vorgesehen waren, wird dieses Jahr entsprechend in die heimische Lebensmittelindustrie investiert. Die Vertiefung der Reform der Staatsbetriebe, die Dezentralisierung von Kompetenzen auf einzelne Provinzen und die Vergrößerung ihrer Autonomie, sollen dieses Jahr folgen.

Ein konkretes Positivbeispiel für die Bekämpfung der Inflation ist mit der Öffnung des Außenhandels für den Privatsektor entstanden: Vor einem Jahr kostete eine 0,3-Liter Bierdose auf den Straßen Havannas noch umgerechnet 1,5€. Mehrere Privatbetriebe haben seither angefangen, den Gerstensaft im großen Umfang einzuführen. Das Angebot ist gestiegen. Heute liegt der Bierpreis fast durchgehend bei unter einem Euro.

Ein wesentliches Problem ist die weiterhin fehlende Integration der mehr als 7000 neuen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in die Wirtschaft. Rund ein Drittel von ihnen ist in der Lebensmittelproduktion angesiedelt, kann allerdings mangels Deviseneinnahmen nicht importieren und damit die Produktion in Gang setzen („Cuba heute“ berichtete). Mit Blick auf die Preisregulierung wurde die Einführung genereller Preisobergrenzen von der Regierung als Instrument verworfen, da damit nur Symptome, nicht jedoch die Ursachen der Inflation bekämpft werden, äußerte Wirtschaftsminister Alejandro Gil. Stattdessen soll jetzt gemeinsam mit den verschiedenen Akteuren eine Kostenanalyse der am häufigsten Nachgefragten Produkte und Dienstleistungen in jeder Gemeinde erfolgen. „Diese müssen im Rahmen von Konsultationen reguliert werden“, forderte Premierminister Manuel Marrero. Dabei soll der Staat den Betrieben entgegenkommen, etwa durch eine Senkung von Pachtgebühren und eine Reduzierung der Umsatzsteuer. Auch die Bündelung beim Einkauf verschiedener Staatseinrichtungen soll die Preise drücken und stabilere Abnahmestrukturen für Produzenten herstellen. Gegen Spekulation und Hortung wird weiterhin streng vorgegangen.

Ein wichtiger Schritt zur Stabilisierung des Angebots ist die demnächst beginnende Eröffnung neuer Märkte für den Groß- und Einzelhandel mit ausländischer Beteiligung. Parallel dazu wird an der Reduzierung des Haushaltsdefits (aktuell rund 13 Prozent des BIP) und der Bedienung von Schulden und Handelsausständen gearbeitet, zwei entscheidende makroökonomische Variabeln, ohne die sich der Preisauftrieb nicht brechen lässt. Damit die Wertschöpfungsketten nachhaltig funktionieren, bedarf es allerdings einer Lösung der Währungsdistortionen. Vergangenen Sommer kündigte die Regierung neue, priorisierte Devisenkanäle für Unternehmen an, auch ein „atmender Wechselkurs“ war im Gespräch. Die Umsetzung dieser Vorhaben steht weiterhin aus, mittelfristig könnte das Zusammenspiel der verschiedenen Maßnahmen allerdings greifen. Bis dahin wird die Inflation Kuba wohl noch einige Zeit im Griff behalten.

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3 Gedanken zu “Die Inflation hat Kuba weiter im Griff

  1. Was heisst hier: „ist mit der Öffnung des Außenhandels für den Privatsektor entstanden: “ ?

    So weit ich weiß können Private nicht importieren, jedenfalls nicht selbst. Sie müssen nach wie vor die importierten Waren dem Staat „abkaufen“. Die Regierung nennt das „vende a la frontiera“, an der Aussengrenze verkaufen.

    Es ist also nach wie vor alles in staatlicher gelenkter Hand, jedoch nur an einem anderen Ort, der Aussengrenze.

    1. Seit September 2022 gibt es die Möglichkeit direkter Im- und Exporte ohne Beteiligung staatlicher Importfirmen, siehe: http://www.cubadebate.cu/noticias/2022/08/15/anuncian-nuevas-medidas-para-el-comercio-exterior-y-el-comercio-interno-mayorista-y-minorista/

      Das war vor allem eine Forderung aus der Softwarebranche, die so einfach nicht effektiv exportieren konnte. In der Praxis laufen die meisten Außenhandelsgeschäfte bis heute dennoch über staatliche Importfirmen, Joint-Ventures und Onlineshops. Eine Öffnung des Außenhandels ist das schon, wenn auch noch keine vollständige und unlimitierte.

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